Die Gartenlaube (1886)/Heft 26 – Wikisource (2024)

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No. 26.1886.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.

(Fortsetzung.)


Der Graf stand am Schreibtische und nahm aus einem der Fächer einen funkelnden Gegenstand, den Stern eines hohen Ordens, der reich mit Brillanten besetzt war. Im Begriff, ihn zu befestigen, bemerkte er, daß das Band sich gelöst hatte, und da Wolfram in diesem Augenblicke bereits eintrat, so legte er das offene Etui auf den Schreibtisch nieder.

Der Förster war heute in der vollen Gala, in der er sich zeigte, eine ganz stattliche Erscheinung. Haar und Bart hatten sich zur Ordnung bequemen müssen, und der Jagdkleidung war die gleiche Sorgfalt zugewendet. Auch schien er seinem ehemaligen Herrn gegenüber nicht ganz die Formen verlernt zu haben, denn er blieb mit ehrerbietigem Gruß ander Thür stehen, bis der Graf ihm einen Wink gab, näher zu treten.

„Da bist Du ja, Wolfram,“ sagte er freundlich, sich nochder alten vertraulichen Anrede bedienend. „Ich habe Dichlange nicht gesehen, wie ist es Dir ergangen?“

„Mir ist’s ganz leidlich gegangen, Herr Graf“, versetzteder Förster, der in strammerHaltung dastand. „Ich hab’ ja mein Auskommen, und der hochselige Herr Graf war auch zufrieden mit mir. Ich komm’ freilichdas ganze Jahr nicht heraus aus meinen Wäldern, aber daran istunsereins gewöhnt, man muß sich halt finden in das Alleinsein.“

„Du warst ja verheirathet, ist Deine Frau nicht mehr am Leben?“

„Nein, sie starb vor fünf Jahren, Gott hab’ sie selig, undKinder haben wir nie gehabt. Man hat mir wohl zugeredet,wieder zu freien, aber ich mochte nicht. Wer die Geschicht’ einmal probirt hat, der hat genug davon.“

„Also war Deine Ehe nicht glücklich?" fragte ihn Steinrück,über dessen Zuge ein flüchtiges Lächeln glitt, bei dieser naivenBehauptung.

„Wie man’s nimmt!“ sagte der Förster gleichmüthig. „Wir sind eigentlich ganz gut mit einander ausgekommen, gezankthaben wir uns freilich alle Tage, aber das gehört dazu, undwenn uns dann der Michel dazwischen kam, dann schlugenwir Beide auf den los, und dabei vertrugen wir uns wieder.“

Matthias Stein’s Blockhütte in Milwaukee vor fünfzig Jahren. (S. 449.)

[442] Der Graf hob mit einer jähen Bewegung den Kopf.

„Auf wen habt Ihr losgeschlagen?“

„Ja so – das war eine Dummheit!“ brummte Wolfram verlegen in seinen Bart.

„Ist etwa von dem Knaben die Rede, der Dir übergeben wurde?“

Der Förster senkte das Auge vor dem zornigen Blick, derihn traf, und vertheidigte sich etwas kleinlaut.

„Es hat ihm nichts geschadet, und es hat auch bald aufgehört, denn der Herr Pfarrer von Sankt Michael verbot es uns,und da ließen wir es bleiben. Uebrigens hat der Bube die Schläge reichlich verdient.“

Steinrück erwiderte nichts; er hatte es freilich gewußt, daß der Jüngling in rohe und gewaltsame Hände kam, aber der Einblick,den er jetzt erhielt, berührte ihn doch peinlich, und ziemlich ungnädig fragte er: „Hast Du Deinen Pflegesohn mitgebracht?“

„Jawohl, Herr Graf, wie es befohlen war.“

„So laß ihn eintreten.“

Wolfram ging, um den im Vorzimmer harrenden Michaelherbeizurufeu, während der Blick des Grafen sich mit unruhigerSpannung auf die Thür heftete, durch die in der nächsten Minutesein Enkel treten sollte, das Kind der verstoßenen, der erbarmungslos gerichteten und doch einst so geliebten Tochter. Vielleicht war der Knabe das Ebenbild seiner Mutter, jedenfalls trug er einigeZüge von ihr, und Steinrück wußte selbst nicht, ob er dieseErinnerung fürchtete oder – ersehnte.

Da öffnete sich die Thür, und an der Seite seines Pflegevaters trat Michael ein. Auch er hatte mit Rücksicht auf dieseVorstellung seinem Aeußeren größere Sorgfalt zuwenden müssen,aber bei ihm half das wenig. Das Sonntagsgewand kleideteihn nicht besser und war überdies, obgleich neu, doch halb bäuerisch in Schnitt und Aussehen. Die dichten, wirren Locken ließen sich nun einmal nicht glätten, und die Ordnung, die er heute Morgen mühsam hineingebracht hatte, war auf dem Wege hierher längstwieder verloren gegangen, sie legten sich eben so wild wie sonstum die Stirn. Dazu prägte sich die Scheu und Befangenheit, die er in der fremden Umgebung empfand, deutlich auf seinem Gesicht aus, das ausdrucksloser als je erschien, und die nachlässige Haltung, die schwerfälligen Bewegungen machten seine Erscheinung nur noch abstoßender.

Der Graf warf einen raschen, scharfen Blick auf den Eintretenden, nur einen einzigen, dann preßte er mit dem Ausdruckherbster Enttäuschung die Lippen zusammen. Das also – das war Louisen’s Sohn!

„Das ist der Michel, Herr Graf,“ sagte Wolfram, indem erMichael in nicht gerade sanfter Weise vorwärts schob. „Mach’ DeineReverenz und bedank’ Dich bei dem gnädigen Herrn, der Dichblutarme Waise aufgenommen und für Dich gesorgt hat. Es ist jadas erste Mal, daß Du Deinen Wohlthäter zu Gesicht bekommst.“

Aber Michael machte keine Reverenz und sprach auch keinenDank aus. Seine Augen hingen wie gebannt an dem Grafen,der sich freilich in der glänzenden Uniform imponirend genug ausnahm, er schien über dem Anschauen alles Andere zu vergessen.

„Nun, kannst Du nicht reden?“ fragte Wolfram ungeduldig. „Sie dürfen es ihm nicht übelnehmen, Herr Graf, es ist nurDummheit, nichts weiter. Er thut schon daheim kaum den Mundauf, und wenn er viel Neues und Fremdes sieht, wie heut, dann ist es vollends zu Ende mit seinem bischen Verstand.“

Es war ein Ausdruck offenbaren Widerwillens, mit dem Steinrück sich jetzt endlich an den Jüngling wandte, und seine Stimme klang kalt und herrisch, als er fragte:

„Du heißest Michael?“

„Ja,“ versetzte dieser, wie mechanisch, er schien das Auge noch immer nicht losreißen zu können von der hohen Gestalt unddem gebietenden Antlitz, das so herb und verächtlich auf ihnniederblickte. Steinrück sah nicht die grenzenlose Bewunderung, die in diesen Augen lag, er sah nur den träumerischen Ausdruck darin, nur ein dumpfes, neugieriges Anstarren, das ihn verletzte.

„Wie alt bist Du?“ fuhr er, in dem gleichen Tone wie vorhin, fort.

„Achtzehn Jahr.“

„Und was hast Du bisher gelernt und getrieben?“

Die Frage schien Michael in Verlegenheit zu setzen, er schwiegund sah den Förster an, der denn auch für ihn das Wort nahm.

„Getrieben hat er eigentlich nichts, Herr Graf, obgleich erden ganzen Tag im Walde herumläuft, und gelernt wird er wohlauch nicht viel haben. Ich hab’ keine Zeit, mich darum zukümmern, zu Anfang thaten wir ihn in die Dorfschule, und späterhat sich der Herr Pfarrer seiner angenommen und ihn unterrichtet.Viel wird es aber auch nicht geworden sein, trotz aller Mühe,der Michel begreift nun einmal nichts.“

„Aber er muß sich doch für irgend eine Thätigkeit entscheiden.Wozu taugt er denn und was will er werden?“

„Gar nichts und er taugt auch zu nichts!“ sagte der Förster lakonisch.

„Das ist ja ein glänzendes Zeugniß, das Dir ausgestelltwird!“ sagte der Graf verächtlich. „Also den ganzen Tag imWalde herumlaufen, das ist Deine Arbeit, das kostet allerdingskeine Anstrengung, und viel zu lernen braucht man auch nicht dabei,aber es ist eine Schande, daß ein junger, kräftiger Bursche wieDu sich so etwas sagen lassen muß.“

Michael schaute betroffen auf bei diesen herben Worten, undin seinem Antlitz begann langsam eine dunkle Röthe aufzusteigen,der Förster aber stimmte bei:

„Ja, das meine ich auch, aber mit dem Michel ist ja nichtsanzufangen. Sehen Sie ihn sich nur an, Herr Graf, der giebtsein Lebtag keinen richtigen Weidmann ab.“

Es schien dem Grafen Ueberwindung zu kosten, sich überhauptnoch mit einer Sache abzugeben, die ihm so zuwider war, aberer bezwang sich und sagte hart und befehlend:

„Tritt näher!“

Michael rührte sich nicht, er stand da, als habe er den Befehlgar nicht gehört.

„Hast Du so wenig Gehorsam gelernt?“ fragte Steinrückdrohend. „Tritt näher, sage ich.“

Michael blieb noch immer regungslos, bis der Förster sich veranlaßt fand, seiner vermeintlichen Dummheit zu Hilfe zu kommen,er faßte ihn derb an der Schulter, traf aber auf entschiedenenWiderstand seines Pflegesohnes, der sich mit einer heftigen Bewegunglosriß. Es lag nur Trotz in diesem jähen Zurückweichen, aberes sah wie Flucht aus und so faßte es auch der Graf auf.

„Also auch noch feig!“ murmelte er. „Wahrhaftig, es ist genug!“

Er zog die Klingel und rief dem eintretenden Diener zu:„Der Wagen soll vorfahren,“ wandte sich dann aber wieder an den Förster.

„Mit Dir habe ich noch ein paar Worte zu reden, folge mir.“

Er öffnete die Thür eines kleinen Nebengemaches und schrittvoran. Wolfram versuchte, indem er ihm folgte, das Benehmenseines Pflegesohnes zu entschuldigen.

„Er hat sich vor Ihnen gefürchtet, Herr Graf, der Bub’ hatnun einmal keine Kourage im Leibe!“

„Das sehe ich!“ sagte Steinrück mit grenzenloser Verachtung;wenn er Alles verzieh, Feigheit verzieh er nicht, das war in seinenAugen ein unauslöschlicher Makel.

„Laß gut sein, Wolfram, ich weiß, Du kannst nichts dafür,aber Du wirst den Burschen wohl einstweilen noch behalten müssen,denn der taugt höchstens für Deine Bergförsterei. Da mag ermeinetwegen sein Leben verdämmern und verdummen, zu etwasAnderem auf der Welt taugt er nicht!“

Er ging mit dem Förster, ohne sich weiter um Michael zukümmern, der noch regungslos an demselben Platze stand. Nochlag die dunkle Röthe auf seinem Gesicht, aber es war jetzt nichtmehr leer und ausdruckslos. Finster, mit zusammengebissenenZähnen schaute er dem Manne nach, der so erbarmungslos denStab über ihn und seine Zukunft brach. Er hatte ja oft genugAehnliches gehört, aus dem Munde des Försters, ohne daß esihn aus seiner Gleichgültigkeit aufzurütteln vermochte, aber esklang so anders von jenen stolzen Lippen, und der verächtlicheBlick jener Augen bohrte sich wie ein schmerzender Stachel inseine Seele. Zum ersten Male empfand er die Behandlung, andie er von Kindheit an gewöhnt war, als ein brennendes Weh,als einen Schimpf, der zu Boden drückte.

Der Diener war gegangen, um den erhaltenen Befehl auszuführen und Michael befand sich allein in dem Gemache. Durchdas Erkerfenster strömte der Sonnenschein herein und lag hellauf dem Schreibtische, wo es gleißend aufblinkte, die Diamanten desOrdenssternes sprühten und glänzten in allen Regenbogenfarben.[443] Aber auch über das dunkle Holzgetäfel zuckten goldene Lichterund auf dem Fußboden einten sie sich mit dem Scheine desKaminfeuers, das schon in Gluth zusammensank.

„Was thust Du hier?“ fragte auf einmal eine Kinderstimme.

Michael wandte sich um, auf der Schwelle des anstoßenden Schlafzimmers, dessen Thür offen geblieben war, stand ein etwaachtjähriges Kind, ein kleines Mädchen, und blickte verwundertauf den Fremden, der jetzt lakonisch antwortete:

„Ich warte.“

Die Kleine, das hinterlassene Töchterchen des Grafen Steinrück,kam näher und besah sich neugierig den Fremden, mußte aberwohl bald zu der Ueberzeugung kommen, daß dieser junge Menschin der halb bäurischen Kleidung nicht als Gast im Schlosse war,denn sie rümpfte das feine Näschen, da er aber auf jemandwartete, so ließ sich gegen sein Hiersein füglich nichts einwenden.Sie ließ ihn deßhalb stehen und lief an den Kamin, wo sie sichdamit unterhielt, in die Gluth zu blasen und sich an den sprühenden Funken zu ergötzen.

Es war ein kleines, zierliches Geschöpf, schlank und zartwie eine Elfe und unleugbar ein schönes Kind, trotz des starkröthlichen Haares. Aber gerade dies Haar, das in langen Lockenüber Hals und Schultern auf den schwarzen Krepp des Trauerkleidchens fiel, gab der Kleinen einen eigenthümlichen Reiz. Ausdem rosigen Kindergesichte blickten ein Paar große Augen vonunbestimmbarer Farbe, sie glänzten wie Sterne, aber es lag einseltsam schillernder Glanz darin, harmlose lachende Kinderaugenwaren es nicht.

Es dauerte nur kurze Zeit, dann wurde die Kleine desSpiels mit den Funken überdrüssig und sah sich nach einer andernUnterhaltung um, ihr Blick fiel wieder auf Michael, der diesmaleiner näheren Beachtung gewürdigt wurde.

„Wo kommst Du her?“ fragte sie, sich dicht vor ihn hinstellend.

„Aus dem Walde,“ versetzte er ebenso einsilbig wie vorhin.

„Weit von hier?“

„Sehr weit.“

„Und gefällt es Dir in unserem Schlosse?“

„Nein!“

Hertha sah ihn hochst verwundert an mit ihren glänzendenAugen, sie hatte die Frage sehr herablassend gethan, und nununterstand sich dieser fremde Mensch, kurz und trocken zu erklären,daß es ihm in dem Grafenschlosse nicht gefalle. Die Kleineüberlegte augenscheinlich, ob sie das übelnehmen solle, da fielihr Blick auf den Hut, den Michael in der Hand hielt, und denein Strauß großer, prachtvoller Schneerosen zierte.

„O, die schönen Blumen!“ rief sie erfreut. „Gieb sie mir!“Sie streckte begehrlich die kleinen Arme empor und hatte den Hutergriffen und den Strauß losgenestelt, ehe Michael auch nurantworten konnte. Er sah etwas betroffen aus, als so ohneWeiteres über sein Eigenthum verfügt wurde, machte aber keinenVersuch, es zu hindern.

Die Kleine hatte sich in den Lehnstuhl am Kamine gesetztmit ihren Blumen, von denen sie ganz entzückt schien, und begannjetzt unbefangen und zutraulich zu plaudern. Sie erzählte vondem großen Schlosse, wo sie gewöhnlich mit ihren Eltern wohneund wo es viel schöner sei als hier, von ihrem Pony, auf demsie spazieren reite und der leider dort geblieben sei, von derMutter, kurz von allem Möglichen. Die Blödigkeit ihres Zuhörers schien ihr großen Spaß zu machen, sie versuchte immerwieder, ihn zum Reden zu bringen, und brachte es denn auchwirklich heraus, daß er der Sohn des Försters sei und in derFörsterei hoch oben in den Bergen wohne, sie schien sich sehrdafür zu interessiren.

Es lag etwas Berückendes in dieser süßen, schmeichelndenKinderstimme und in der kleinen Elfengestalt, die sich so zierlichund geschmeidig in die Polster schmiegte, und dazu leuchtete dasHaar förmlich auf dem dunklen Grunde. Michael kam langsamnäher und fing allmählich an, Rede und Antwort zu geben, diesSchmeicheln, Lachen und Plaudern umspann ihn mit einer Macht,die er nur dunkel empfand, der er sich aber nicht zu entziehenvermochte.

Hertha hatte während der ganzen Zeit unaufhörlich mit ihrenBlumen gespielt, die sie bald zusammenfügte, bald wieder trennte,jetzt aber schien sie auch dieses Spiels müde zu werden und begannden eben noch so heiß begehrten Strauß zu zerpflücken. Die kleinenHände zerstörten erbarmungslos die weißen Blüthen, um sie dannachtlos auf den Boden zu werfeu, und waren unendlich flink dabei.

Michael zog die Stirn kraus, und mahnend zwar, aberdoch im Tone der Bitte sagte er:

„Nicht zerpflücken! Die Blumen waren schwer zu finden.“

„Ich mag sie aber jetzt nicht mehr!“ erklärte Hertha, indemsie, ohne auf das Verbot zu achten, in ihrem Zerstorungswerkefortfuhr, da aber ergriff Michael ohne Weiteres ihren Arm undhielt sie fest.

„Laß mich los!“ rief die Kleine zornig, indem sie sich zubefreien versuchte. „Ich mag Deine Blumen nicht mehr, undich mag Dich auch nicht mehr! Geh’ fort!“

Es lag nicht bloß ein kindischer Trotz in diesen Worten.Das „Ich mag Dich auch nicht mehr!“ klang höhnend und verächtlich, und dabei schillerten die Augen wieder in jenem seltsamenGlanze, der sie so unkindlich machte. Michael gab plötzlich diekleine Hand frei, die er festgehalten, aber in demselben Momenteentriß er ihr auch den Strauß.

Hertha glitt von dem Armsessel, um ihren Mund zuckte eswie ausbrechendes Weinen, aber die Augen sprühten dabei imhellsten Zorne.

„Meine Blumen! Gieb mir meine Blumen zurück!“ trotztesie und stampfte dabei mit ihrem Füßchen auf den Boden. Datrat Wolfram aus dem Kabinette. Die Entlassung mußte wohlsehr gnädig gewesen sein, denn er sah äußerst zufrieden aus.

„Komm, Michel, wir wollen gehen,“ sagte er, seinem Pflegesohne zuwinkend.

Hertha kannte den Förster, der zur Jagdzeit einmal auf demSchlosse gewesen war, als einen Untergebenen ihres Vaters undbegriff auf der Stelle, daß er ihr helfen werde, ihren Willendurchzusetzen, sie wandte sich schleunigst zu ihm.

„Ich will die Blumen wieder haben!“ rief sie mit der ganzenHeftigkeit eines verwöhnten, verzogenen Kindes. „Sie sind mein,er soll sie mir zurückgeben!“

„Was für Blumen?“ fragte Wolfram. „Die Seerosen dort? Nun, so gieb sie doch her, Michel. Es ist ja die kleine Gräfin,das Kind unserer Herrschaft.“

Die Kleine schüttelte triumphirend ihre Locken und strecktewie vorhin die Arme empor, aber diesmal war Michael auf seinerHut, er hielt den Strauß so hoch, daß sie ihn nicht erreichen konnte.

„Nun, wird es bald?“ fragte der Förster ungeduldig. „Begreifst Du wieder einmal nicht? Du sollst der kleinen Gräfin die Blumen geben, auf der Stelle!“

„Auf der Stelle!“ wiederholte Hertha, die vorhin so süßeKinderstimme klang schneidend und befehlend. Michael blickteeinige Sekunden stumm nieder auf die kleine Tyrannin undschleuderte dann plötzlich den Strauß in den Kamin.

„So hole ihn Dir!“ sagte er herb, wandte ihr den Rückenund schritt aus dem Zimmer.

„Wahrhaftig, mit dem Menschen leg’ ich heute Ehre ein!Gnade Dir Gott, wenn wir erst wieder daheim sind!“ murmelteWolfram mit unterdrückter Wuth, indem er ihm folgte.

Hertha blieb allein zurück, sie stand regungslos da und sahmit großen Augen den Beiden nach, in der nächsten Minute aberbesann sie sich und lief schleunigst wieder an den Kamin. DieGluth sprühte auf und verzehrte knisternd ihre Beute, die zartenweißen Blüthensterne färbteu sich glühend roth und leuchteteneinen Moment lang wie Wunderblüthen, dann krümmten sie sichund sanken in Asche zusammen.

Die Kleine hatte die Hände in einander geschlungen und sahzu, auf ihrem Gesichte lag noch der Ausdruck des Trotzes, aberihre Augen füllten sich allmählich mit Thränen, und als die letzteder Blumen den Flammentod gestorben war, brach sie plötzlich inlautes Schluchzen aus. –

Als Graf Steinrück nach einer Weile in das Arbeitszimmerzurückkehrte, fand er Niemand mehr dort. Ein Blick auf die Uhrzeigte ihm, daß die Zeit der Abfahrt gekommen war, und er tratrasch an den Schreibtisch, um den Orden anzulegen, der seineUniform vervollständigen sollte. Das Etui lag noch an demselbenPlatze wie vorhin, aber es war leer, wahrscheinlich hatte derDiener das fehlende Band entdeckt und war eben damit beschäftigt,es zu ersetzen, Steinrück zog die Klingel.

„Meinen Orden,“ sagte er flüchtig zu dem Eintretenden. „Ist der Wagen da?“

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Aus der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin:
Die alte Schau mit der Sebalduskirche zur Zeit des Einzuges Gustav Adolf’s in Nürnberg 1632. Nach dem Oelgemälde von Paul Ritter.
Photographie im Verlag von Franz Hanfstängl in München.

[445] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.[446] „Zu Befehl. Aber der Orden – die Ordenszeichen pflegen der Herr Graf ja stets selbst zu verwahren.“

„Gewiß, ich habe ihn auch heute selbst herausgenommen. Es war der große Stern mit den Brillanten. Hast Du denn nicht bemerkt, daß das Band gelöst war?“

Der Diener schüttelte den Kopf.

„Ich habe den Stern gar nicht gesehen, ich kam ja nur auf einen Augenblick in das Zimmer, als der Herr Graf den Befehl hinsichtlich des Wagens ertheilten.“

Steinrück blickte mit dem äußersten Befremden auf das leere Etui nieder.

„Du bist seitdem nicht im Zimmer gewesen?“

„Mit keinem Schritte.“

„Auch sonst Niemand?“

„Doch, der Sohn des Försters blieb allein hier, als ich ging, den Wagen zu bestellen, und ich glaube, er ist ziemlich lange allein geblieben.“

Es lag ein deutlich ausgesprochener Argwohn in diesen Worten, aber der Graf machte eine heftig abwehrende Bewegung.

„Thorheit, davon kann keine Rede sein! Ist wirklich kein Anderer hier gewesen? Besinne Dich.“

„Nein, Herr Graf, es hat Keiner auch nur den Korridor betreten.“

„Aber das Schlafzimmer – es hat freilich keinen eigenen Eingang.“

„Nur die Tapetenthür, und die führt direkt in die Zimmer der Frau Gräfin.“

Steinrück erbleichte, seine Hand krampfte sich unwillkürlich zusammen, aber noch wehrte er sich gegen den aufsteigenden Verdacht.

„Sieh nach!“ sagte er kurz. „Der Stern muß sich finden, unter den Papieren oder den Büchern, vielleicht habe ich ihn verlegt.“

Und ohne die Hilfe des Dieners abzuwarten, begann er selbst zu suchen. Er wußte genau, daß er den Stern in das Etui gelegt und dies offen gelassen hatte, trotzdem wurde jedes Papier aufgehoben, jedes Buch nachgesehen, sogar die einzelnen Fächer aufgezogen, vergebens, das Vermißte fand sich nicht.

„Es ist nicht da,“ sagte der Diener endlich leise. „Wenn es hier in dem offenen Etui gelegen hat, so bleibt nur eine Erklärung.“

Steinrück antwortete nicht, aber auch er zweifelte jetzt nicht mehr. Also Diebstahl! Gemeiner niedriger Diebstahl! Das brachte das bis an den Rand gefüllte Maß des Hasses und der Verachtung zum Ueberlaufen.

Es folgte ein sekundenlanges Schweigen, der Diener stand da und wartete auf Befehle, zu sprechen wagte er nicht, denn das Gesicht seines Herrn erschreckte ihn, so hatte er es noch nie gesehen.

„Ist Wolfram noch im Schlosse?“ fragte der Graf endlich.

„Ich glaube wohl, er wollte noch zum Kastellan.“

„So rufe mir seinen Sohn her. Aber kein Wort von demVorgefallenen, auch gegen den Förster nicht, Du überbringst nurden Befehl.“

Der Diener entfernte sich, und einen Moment lang legteSteinrück die Hand über die Augen. Das war furchtbar! Unddoch, war es denn so ungeheuerlich bei einem Sproß aus solchemStamme? Daß er keinen Tropfen von dem Blute der Mutterin sich hatte, verrieth schon sein Aeußeres, und jenes andere Blut,das der Vater auf ihn vererbte, nun das zeigte sich eben jetztund zeigte, daß man das Recht und die Pflicht hatte, es auszustoßen. Fort damit!

Der Graf stand wieder aufrecht da, mit der alten eisernenEntschlossenheit, als Michael eintrat, der keine Ahnung hatte, wasder erneute Ruf bedeutete, aber ihm nur widerwillig folgte.

„Schließe die Thür,“ gebot Steinrück, „und komm näher!“

Diesmal war kein zweiter Befehl nothwendig, Michael gehorchte ohne Zogern. Er stand jetzt vor dem Grafen, der das Auge durchbohrend auf ihn richtete und ihm dabei das leere Etui entgegenhielt.

„Kennst Du das?“ fragte er anscheinend ruhig.

Der Gefragte schüttelte langsam verneinend den Kopf, er begriff die seltsame Frage nicht.

„Es lag hier auf dem Schreibtische,“ fuhr Steinrück fort,„aber es war nicht leer, wie jetzt, ein Stern mit funkelndenSteinen befand sich darin. Hast Du den auch nicht gesehen?“

Michael besann sich, das mußte der funkelnde Gegenstandgewesen sein, der so gleißend aufblinkte im Sonnenschein, den eraber nicht weiter beachtet hatte.

„Nun, ich warte auf Antwort,“ sagte der Graf, ohnedas Auge von seinem Gesicht zu lassen. „Wo ist der Stern geblieben?“

„Wie soll ich denn das wissen?“ fragte Michael, immermehr verwundert über dies seltsame Examen, die Lippen desGrafen zuckten in tiefster Bitterkeit.

„Also Du weißt es wirklich nicht? Scheinst doch nicht sobeschränkt zu sein, wie Du Dich anstellst, wenigstens spielst Dutrefflich Komödie. Wo ist der Stern geblieben? Ich will eswissen, heraus damit!“

Der drohende Ton der letzten Worte machte dem Jünglingendlich die Wahrheit klar, er stand da wie vom Blitze getroffen,so entsetzt, so fassungslos, daß er im Augenblick gar nicht fähigwar, sich zu vertheidigen, und das nahm Steinrück den letztenZweifel, es sah in der That aus wie Schuldbewußtsein.

„Gesteh’, Bube!“ sagte er, mit gedämpfter Stimme, aber miteinem furchtbaren Ausdruck. „Gieb das Gestohlene heraus unddanke Gott, wenn ich Dich dann laufen lasse. Hörst Du nicht?Deine Diebsbeute sollst Du herausgeben!“

Michael zuckte zusammen, als habe er eine Wunde empfangen,im nächsten Augenblick aber fuhr er auf.

„Ich ein Dieb? Ich soll –“

„Still!“ unterbrach ihn Steinrück heftig. „Ich will keinenLärm, kein Aufsehen, aber Du kommst nicht von der Stelle, bisDu gestanden hast. Gestehe!“

Er faßte ihn hart am Arm, und seine Hand verstand es,festzuhalten, sie schloß wie eine eiserne Klammer, doch mit einemeinzigen kraftvollen Ruck hatte sich Michael losgerissen.

„Lassen Sie mich!“ keuchte er. „Sagen Sie das nicht nocheinmal – nicht noch einmal, oder –“

„Willst Du mir etwa noch drohen?“ rief der Graf, der diesen Ausbruch für den Gipfel der Frechheit hielt. „Wahre Dich,Bube! Noch ein Wort, und ich vergesse, daß ich Dich schonen muß.“

„Ich bin aber kein Dieb!“ schrie Michael gellend aus. „Undwer mich so nennt – den schlage ich zu Boden!“

Zugleich riß er einen schweren silbernen Armleuchter vondem nächsten Tische und schwang ihn wie eine Waffe gegen denGrafen, dieser trat einen Schritt zurück, nicht vor der drohendenBewegung, sondern vor dem Anblick, der sich ihm bot. Wardenn das noch derselbe junge Mensch, der vorhin hier gestandenhatte, mit dem leeren, träumenden Gesicht, dem scheuen blödenWesen? Jetzt bäumte er sich auf wie ein verwundeter Löwe,bereit, sich auf den viel stärkeren Gegner zu stürzen, maßloseWuth und maßlose Wildheit in jedem Zuge. Und die AugenSteinrück’s, die so vernichtend niederflammten, trafen auf einanderes Augenpaar, dunkelblau wie das seinige und in diesemMoment auch flammend wie das seinige, es war ein starres,athemloses Anschauen, aber so sah kein Feigling und so sahauch kein Dieb aus.

Da flog die Thür auf – man mochte im Vorzimmer wohldie lauten, drohenden Stimmen gehört haben – der Förster standauf der Schwelle und hinter ihm zeigte sich das erschrockene Gesichtdes Dieners.

„Bube – bist Du unsinnig geworden?“ schrie Wolfram, indem er seinem Herrn zu Hilfe eilte und Michael an der Schulterpackte, doch dieser schüttelte ihn ab, wie ein angeschossenes Wilddie Meute, schmetterte dann wüthend den Leuchter zu Bodenund stürzte nach der Thür. Hier aber vertrat ihm der Dienerden Weg.

„Halten Sie ihn auf!“ rief er dem Förster zu. „Er darfnicht fort, er hat den Herrn Grafen bestohlen!“

Wolfram, der eben Miene machte, sich seines Pflegesohneszu versichern, hielt entsetzt inne.

„Der Michel – ein Dieb?“

Ein Aufschrei brach aus der Brust des Gequälten, so wildund verzweiflungsvoll, daß Steinrück rasch dazwischen trat. Erwollte Halt gebieten, aber es war zu spät, schon taumelte derDiener, von einem Schlage getroffen, seitwärts, und Michaelstürzte, wie gejagt von dem furchtbaren Worte, an ihm vorüber,zur Thür hinaus.

(Fortsetzung folgt.)

[447]

Dunkle Gewerbe am Wege der Wissenschaft.

Mit dem Fortschritte der Kultur treten innerhalb der menschlichen Gesellschaft nicht allein neue Anschauungen, neueBedürfnisse, neue Genüsse und neue Krankheiten, sondern auchneue Arten von Schwindelei und Betrügerei auf. Der Giftmischer von früher, der aus Rache oder, um eine Erbschaft zuerlangen, einen Einzelnen aus dem Wege räumte, bleibt weithinter den Massenmördern zurück, die nicht davor zurückschrecken,ganze Schiffe oder Eisenbahnzüge in die Luft zu sprengen, umEntschädigungen von Versicherungsgesellschaften zu erschwindeln.Neben diesen grausenvollen Verbrechen, die aber glücklicherweisedoch nur höchst selten zur Ausführung gelangen, treffen wirauf eine Art von Schwindelei, die, wenigstens in ihrer fastgeschäftsmäßigen Ausübung, der neuesten Zeit angehört und dieAusbeutung wissenschaftlicher Bestrebungen zum Ziele hat. Wirmeinen die Fälschung von Objekten, besonders solcher, welche indas Gebiet der Alterthumsforschung und Urgeschichte fallen. Vereinzelt sind Fälschungen dieser Art stets vorgekommen, abersystematisch betrieben wurden sie doch wohl erst seit den letztenJahrzehnten.

Eines der merkwürdigsten Beispiele dieser Art sind Fälschungen von Briefen bedeutender historischer Persönlichkeiten, durch welche ein gewisser Lucas gegen Ende der sechziger Jahre den berühmten französischen Gelehrten Chasles und durch diesendie halbe wissenschaftliche Welt Frankreichs zum Besten hielt,dabei aber für seine Fabrikate 50{{0<|.}}000 Franken einheimste. Ursprünglich sollten diese „Dokumente“ nur beweisen, daß nicht derEngländer Newton, sondern der Franzose Pascal der Entdeckerdes Weltgesetzes der Schwere sei. Als die Briten dawider demonstrirten und bemerkten, Pascal sei zur Zeit des Auftretens vonNewton noch ein Kind gewesen, brachte Chasles ein neues „Dokument“, welches bewies, daß dieses Kind bereits einen gelehrten Briefwechsel mit Galilei geführt habe. Nun erhobensich die italienischen Gelehrten und erinnerten daran, daß Galileizu jener Zeit bereits blind gewesen, worauf Chasles ein weiteres„Dokument“ hervorzog, in dem Galilei erklärte, er sei gar nichtblind, sondern verstelle sich nur, um seine Feinde irre zu führen.In dieser Weise spann sich der Streit immer weiter; wurde der„Gelehrte“ Chasles in die Enge getrieben, so trug ihm derschlaue Fälscher emsig neue Dokumente zu und ging endlich soweit, sogar Briefe Karl’s des Großen, Zuschriften von Julius Cäsar, zuletzt selbst Originalschreiben der Apostel demgelehrten Forscher zu verkaufen. Man weiß in der That nicht,wer einfältiger war, der Fälscher, der Apostelbriefe verfaßte, oderder Gelehrte, der sie als echt kaufte und vertheidigte. Natürlichendigte die Sache zuletzt mit einem eklatanten Krach, und derFälscher wanderte ins Zuchthaus.

Um dieselbe Zeit arbeiteten in Nordamerika zwei Männer,H. B. Morton und George Hull daran, einen urgeschichtlichenFund von möglichst hohem (Geld-) Werthe zu fabriciren. Sieverfielen darauf, einen versteinerten Riesen herzustellen, denselbenzu vergraben und dann mit möglichst viel Pomp aufzufinden.Die Beschaffung eines genügend großen Steines erforderte diemeiste Mühe. Endlich fand man einen solchen, doch mußte erhundert Meilen weit auf Ochsenwagen transportirt und bei Nachtund Nebel in einer Scheune zu Chicago abgeladen werden. DieseScheune wurde innen mit Teppichen ausgkleidet, und nunarbeitete – ein Bildhauer zwei Monate lang daran, den Riesenherauszumeißeln. Nachdem dies geschehen, wurde ihm durch Säurenund Farbstoffe ein verwittertes Aeußere gegeben, dann packte manihn in eine große eisenbeschlagene Kiste und schaffte diese mitvieler Mühe nach dem Staate New-York, wo der Riese vergrabenund am 16. Oktober 1869 „zufällig“ aufgefunden wurde. DieseEntdeckung machte großes Aufsehen; allein die Fälscher geriethenbald einander in die Haare, und im März 1870 verrieth einerderselben den ganzen Schwindel.

Nichts desto weniger erschien ein paar Jahre später ein neuer„steinerner Mann“, den Herr Conant in der Nähe von Pueblaentdeckt haben sollte oder wollte. Dieses Gebilde war 7½ Fußlang und 300 Kilo schwer; es wurde behauptet, er sei der endlichgefundene Beweis für die Hypothese von der Abstammung des Menschen vom Affen, man könne solches besonders an der Stirndes versteinerten Mannes sehen. Vielleicht hat es Narren gegeben,die an die Echtheit desselben glaubten, für jeden nüchtern Denkendenwar der Betrug aber doch etwas zu plump.

Viel schlauer und billiger faßten Arbeiter in Europa dieSache an, indem sie vorgeschichtliche Werkzeuge nachmachten undden Forschern als echt verkauften. Vorzugsweise blüht diesesGewerbe in den Steinbrüchen von Amiens, in jener Gegend, inwelcher der geniale Boucher de Perthes zuerst die Spuren derThätigkeit des vorgeschichtlichen Menschen in roh behauenen Steinwerkzeugen erkannt hatte. Der Umstand, daß Forscher undSammler aus allen Theilen Europas nach Amiens und Abbevillekamen, um die gefundenen Steinartefakte zu hohen Preisen zukaufen, führte die Arbeiter auf den naheliegenden Gedanken, solcheSteinwerkzeuge selbst zu machen. Das ist natürlich leicht genug,denn was der vorgeschichtliche Wilde aus einem Flintsteinknollenzusammenschlagen konnte, ist für einen intelligenten heutigenArbeiter eine Kleinigkeit. So kommen denn diese Leute nachFeierabend oder auch Sonntags in den Steinbrüchen zusammenund fabriciren „vorgeschichtliche Waffen“. Die Steine sind inMenge zur Hand, ein alterthümliches Aussehen wird ihnen mitThonwasser gegeben und die dem Alterthumsforscher bekannteGlätte durch Reiben an den Kleidern leicht hervorgebracht. Diesogenannten Steinpfeilspitzen werden auch bisweilen mit Oelgerieben und dann über Feuer gehalten, oder man steckt sie eineZeit lang in feuchte Erde, vergräbt sie in Düngerhaufen u. dergl.Um möglichst sicher zu gehen, studiren manche dieser Fälscherkostbare echte Stücke in den Sammlungen und orientiren sich ausBüchern über Beschaffenheit und Aussehen seltener Artefakte.Einzelne Arbeiter erwarben sich auf diese Weise – durch Theorieund Praxis – eine größere Routine in Beurtheilung solcherStücke, als mancher Forscher von Profession besitzt. Wie schwungvoll dieses Fälschergeschäft dort betrieben wird und wie groß alsodie Zahl der Dummen ist, die noch immer darauf hereinfallen,beweist die Thatsache, daß ein Händler in Amiens gedrucktePreiskourante verschickt, in denen er gefälschte prähistorische Objekteals solche anbietet mit der Empfehlung, sie seien „von schlauenArbeitern“ angefertigt.

Gelegentlich der Ausgrabungen in der Thäynger Höhle beiSchaffhausen kamen eingekratzte Zeichnungen auf Knochen desRenthiers zu Tage, die also von Menschen der Eiszeit ausgeführtworden sein müssen und deßhalb einen hohen wissenschaftlichen undpekuniären Werth repräsentiren. Dadurch gerieth ein Arbeiter aufdie Idee, dergleichen Zeichnungen nachträglich auf solche urweltlicheKnochenstücke eingraviren zu lassen. Er beauftragte hiermit einenKnaben, der denn auch das Bild eines Bären und eines Fuchseseinkritzelte und sich als Vorlage einiger Illustrationen von Leutemannbediente. Den Sachkennern kamen diese Stücke zwar etwas eigenthümlich vor, denn die Umrisse der beiden Thiere waren socharakteristisch, daß man schon ein sehr großes Vertrauen in diekünstlerische Befähigung des Urmenschen setzen mußte, um anzunehmen, sie hätten solche Zeichnungen bloß mit Feuersteinsplitternauf Renthierknochen eingekratzt. Der Verdacht war also da, alleinden ersten sicheren Nachweis der Fälschung lieferte der Zufall,indem dem Archäologen Lindenschmit die Leutemann’schen Zeichnungen in dem Buche „Die Welt der Jugend“ zu Gesichte kamen,während er eine Kopie der Thäynger Zeichnungen vor sich hatte.„Sonderbar, ja wunderbar,“ rief der gelehrte Forscher, „wie kannwohl der urweltliche Kunstgenosse eine Ahnung von den Darstellungen Leutemann’s gehabt haben, und wie hat dieser eine sozutreffende Erinnerung urweltlicher Kunstversuche geben können,die erst sechs Jahre nach seinen Zeichnungen ans Tageslichtkamen? Das Räthsel dieser Erscheinung findet seine ganz natürlicheLösung darin, daß die Darstellungen Leutemann’s, welche vonunserer Jugend so oft schon in Schreibhefte, auf Schiefertafelnund in Schulbücher kopirt wurden, auch einmal auf dem wenigerüblichen und geeigneten Materiale von urweltlichen Knochen zurNachbildung gelangt sind.“ Die Richtigkeit dieses Schlusses fanddurch die polizeilichen Erhebungen ihre Bestätigung. Aehnlichmag es sich mit manchen anderen Zeichnungen und Schnitzereien[448] aus der vorhistorischen Zeit der europäischen Menschheit verhalten. Wenigstens ist es schwer zu begreifen, wie die wilden Renthierjäger der Eiszeit, die Jahrtausende vor der Gründung von Athenund Rom lebten, dazu gekommen sind, Zeichnungen zu machen, ja Statuetten zu fabriciren.

Wie in Europa Betrügereien in Herstellung prähistorischer Steingeräthe verübt werden, so fabricirt man in Mexiko aztekischeGötzenbilder und irdene Gefäße, die den Liebhabern für alte echte Waare verkauft werden. Indessen sind die Fabricanten dieserWaaren doch im Grunde genommen nur Stümper gegenüber den Fälschern, die in Jerusalem sitzen, und die nicht nur den harmlosenPilger beschwindeln, sondern denen es sogar mit den berüchtigten „moabitischen Alterthümern“ gelang, selbst die Gelehrten zu täuschenund den preußischen Staatsschatz um 60000 Mark zu brandschatzen. Der unverfrorenste dieser Fälscher war ein zum Protestantismus übergetretener Israelit Namens Schapira, der damitdebütirte, den echten Sarkophag Samson’s zu entdecken, der später im Verein mit Selim Qari die moabitischen Terrakotten inSchwung brachte und zuletzt so glücklich war, auch in den Besitz von uralten Thorarollen zu kommen, für die er jedoch zu seinemLeidwesen keine gläubigen Käufer finden konnte. Der Mann hätte, wenn es gewünscht worden, auch noch ein Stück von derehernen Schlange des Moses oder eine Planke von der Arche Noah’s herbeigeschafft.

Solche Leute sind aber in Palästina durchaus nicht selten, im Gegentheil kann der Reisende dort kaum einen Schritt thun,ohne daß der Versuch gemacht wird, ihm irgend eine faule Merkwürdigkeit für gutes Geld anzuhängen. Auch mit dem Nachweisinteressanter Lokalitäten wird dort ein Schwindel getrieben, der unter Umständen einen ergötzlichen Anstrich hat. Wünscht manz. B. den Baum zu sehen, in dessen Ast Absalom mit den Haaren hängen blieb, so werden sich sogleich zwanzig Menschen bereiterklären, diesen Baum zu zeigen, ebenso wird es nicht so schwierig sein, einen Führer nach dem Orte zu finden, wo Elias genHimmel fuhr.

Wie viel Schwindeleien mit kleinen nachgemachten Alterthümern in Palästina verübt werden, entzieht sich jeder Berechnungund beweist, daß die im letzten Grunde von der Habgier inspirirte Leichtgläubigkeit heute kaum geringer ist als vor Jahrhunderten.Auch in Aegypten wird die Fabrikation von Antiquitäten schwungvoll betrieben, daneben blüht noch gelegentlich das Geschäft, Unerfahrene durch Vorspiegelung des Nachweises großer irgendwo vergrabener Schätze um eine kleine Summe zu prellen. In sehrseltenen Fällen ereignet sich wohl auch einmal das Umgekehrte, daß nämlich ein Araber wirklich einen wissenschaftlich werthvollen Schatz aufgestöbert und Mühe hat, ihn an den Mann zu bringen. Ein solches Beispiel erzählt der berühmte ReisendeRüppell. Als er sich in Kairo aufhielt, kam eines Tages ein alter Araber zu ihm und machte ihm mit geheimnißvoller Mienedas Anerbieten, für 20 spanische Piaster den Aufbewahrungsort eines Schatzes von ungeheurem Werth zu zeigen. Als Rüppellden Mann fragt, warum er denn selbst den Schatz nicht hebe, betheuert dieser, solches sei ihm unmöglich, da derselbe von grauenhaften Dämonen bewacht würde, die aber nur für einen Araber gefährlich seien. Rüppell hielt das Ganze für Schwindel, docherzählte er gelegentlich davon einem Manne, der mit der Ausgrabung eines nubischen Tempels beauftragt war. Dieser beschloß,der Sache nachzuspüren, und fand an dem Orte, den der alte Araber bezeichnete, in der That einen Schatz, nämlich den kostbaren Alabastersarg mit der Mumie des Pharao Psammetich. Derselbe wurde von ihn gehoben und für eine sehr hohe Summenach London verkauft. Solche Glücksfälle sind, wie man schon denken kann, äußerst selten; im Allgemeinen handelt es sich beiderartigen Erzählungen nur um Schwindelei. Dr. K.

Arbeiter- und Heimatkolonien im Moor.

Von A. Lammers.

O sprecht, warum zieht Ihr von dannen?“ Diese Frage Freiligrath’s an deutsche Auswanderer, die er in Havre das Schiff nach der neuenWelt besteigen sah, hat ein thätiger Menschenfreund in Bremerhaven, der freisinnige protestantische Pastor Cronemeyer, oft auf dem Herzengehabt, wenn vor seinen Augen die dichten Züge Europamüder in das Zwischendeck der großen Lloyddampfer hinabkletterten; zumal da er nichtselten Amerikamüde wieder heimkehren sah, um Geld, Hoffnung und Lebensmuth beträchtlich ärmer. Aber sein praktischer Sinn blieb nicht bei derEmpfindung und zwecklosen dichterischen Frage stehen. Er hatte sich schon an der Organisation weiblicher Armenpflege in seiner Stadt, an einerVolksküche, an einem Obdache ohne Verzehrungszwang und geistige Getränke für beschäftigungslose Hafenarbeiter erprobt und verstand dahereinigermaßen zusammenzufügen, was zu socialer Neuschöpfung gehört. Er beschloß darum, den Auswanderern ein neues Ziel vor Augen zuführen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Moore Norddeutschlands zu lenken. Die Versuchsstation der Central-Moorkommission zuBremen hat seit einigen Jahren die ungemeine bodenbessernde Wirksamkeit des Schlamms oder Schlicks, der sich in den Seehäfen festsetzt, erwiesen.Hier ist er ein höchst unbequemes Hinderniß der Zwecke, zu denen man Häfen baut – auf ödes Land aber, namentlich auf den im deutschenNordwesten so weit ausgedehnten Moorboden gebracht, wirkt er Wunder der Fruchtbarkeit. War diese Thatsache auch schon länger bekannt, namentlichum den Dollart herum, so fehlte doch bis vor Kurzem der planmäßige und exakte chemisch-physiologische Nachweis derselben. Ihn hat die BremerVersuchsstation geliefert; Pastor Cronemeyer aber schlägt vor, daß man hierauf, nicht wie im vorigen Jahrhundert auf das den unangenehmenMoor- oder Höhen- oder Haarrauch erzeugende Moorbrennen, das obendrein ein Raubbau und eine Art von Lotteriespiel zugleich ist, neueeigenartige Moorkolonien gründe. Nach der menschlichen Seite hin lehnt er diese an die Arbeiterkolonien seines Bielefelder Amtsbrudersvon Bodelschwingh an, mit dem er überhaupt in vollem Einvernehmen handelt.

Zunächst soll in einem Moore unweit Bremerhavens, During bei Loxstedt, eine gewöhnliche Arbeiterkolonie entstehen; dann aber, was ereine „Heimatkolonie“ zu nennen vorschlägt, bestimmt, allen Denen ein Heim zu verschaffen und eine Zukunft als kleine Landwirthe zu gründen,die aus den verschiedenen deutschen Arbeiterkolonien gebessert und gehoben, das heißt tüchtiger Arbeit wiedergewonnen, hervorgehen.

Dies der Grundgedanke des Planes, auf dessen ohnehin noch nicht ganz feststehende Einzelheiten hier nicht weiter einzugehen ist. Genug,daß man denselben überall mit dem größten Antheil und Wohlwollen aufgeommen hat, wo Pastor Cronemeyer in seiner schlichten einleuchtendenWeise ihn vortragen konnte: in Bremerhaven selbst und den Nachbarorten, in einer Sitzung der preußischen Central-Moorkommission zu Bremen,Ende November, in einer Audienz beim Kronprinzen, an der auch Pastor von Bodelschwingh theilnahm, endlich am 20. Mai zu Bremen, wo dieHauptsumme des vorläufigen Anlagegeldes flüssig gemacht werden soll. An der wirklichen Durchführung des Planes wird nicht mehr zu zweifelnsein. Gelingt er nur einigermaßen, wie sich zuversichtlich hoffen läßt, so ist der Anfang gemacht mit einem vielversprechenden Unternehmen innererKolonisation. Mit der Zeit werden wohl neben den Zöglingen der Arbeiterkolonien auch tüchtige Auswanderer, nicht bloß gebesserte unbeschäftigte, nach Bremerhaven ziehen, nicht um über das Atlantische Meer zu schiffen, sondern um ihr „Amerika“ in den Mooren und Haidendes deutschen Nordwestens zu finden. Das wüste Moor birgt in seinem schwerzugänglichen Innern Schätze höchster Fruchtbarkeit, welche nur durchein nicht ganz leichtes und einfaches Verfahren erst gehoben werden müssen. Aber dieser Aufgabe dient, seit die 1870 unternommene und mehrere Jahre lang eifrig unterhaltne Agitation wider das Moorbrennen dieöffentliche Aufmerksamkeit nachhaltig darauf gelenkt hat, der Kanalbau Preußens und Oldenburgs in ihren Moorgebieten, dient die genannteVersuchsstation zu Bremen sammt der ihr vorgeordneten, ausgezeichnet geleiteten und besetzten Central-Moorkommission, die sich dem preußischenLandwirthschaftsministerium als eine Art Fachstelle anschließt. Diese vereinten, zusammenstrebenden Bemühungen sind nun nachgerade soweitgediehen, daß umfassendes Kolonisiren beginnen kann. In Cronemeyer’s „Heimatkolonie“ soll es mit den menschlichen Arbeitskräften ganz ähnlichgehalten werden, wie mit dem Hafenschlick: von der Landstraße weggenommen, in anderen, erziehend wirkenden Niederlassungen an tüchtigeArbeit zurückgewöhnt, schlagen sie um in eine lebendige Bereicherung der Gesellschaft, der sie bisher zur Last waren, in einen Grundstamm gedeihender, glücklicher Familien und Menschengeschlechter.

[449]

Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas.

Ansicht von Milwaukee.
Originalzeichnung von Richard Püttner.

Deutsche Sängerfeste bilden in Nordamerika keine Seltenheit. Unsere Brüder unter dem Sternenbanner pflegen deutsche Weisen mit demselben Eifer, wie dies innerhalb der Reichsgrenzen der Fall ist. Zahllosedeutsche Sängervereine blühen in den Vereinigten Staaten und besitzen in dem „Nordamerikanischen Sängerbund“, der im Jahre 1857 gegründet wurde und heute die größte Vereinigung dieser Art in der Union bildet,einen wichtigen Mittelpunkt. Und dennoch sehen sangesfrohe Scharen jenseit des Oceans mit spannender Erwartung der Zeit vom 21. bis 25. Juli entgegen, wo in dem lieblichen Mllwaukee das 24. Sängerfest des genannten Bundes abgehalten werden soll.

Schon der Umstand, daß für dieses Jahr die deutscheste Stadt Amerikas zum Festort gewählt wurde, würde diese Erwartung rechtfertigen. Sie wird aber noch gesteigert durch den großen Aufwand für die Vorbereitungen zum Feste, wie solcher bei allen bisherigen Feiern dieser Art in der neuen Welt noch nicht erreicht wurde – verfügt doch das Festkomité allein über einen Garantiefond von dreiviertel Millionen Mark.Ueber 90 deutsch-amerikanische Vereine werden in Milwaukee zusammentreffen, und auch Gäste aus Deutschland werden nicht fehlen. So wird der königliche Musikdirektor Hermann Mohr von Berlin auf dem Fest erscheinen, um seine 1865 auf dem ersten Deutschen Sängerfest zu Dresden preisgekrönte Hymne „Jauchzend erhebt sich die Schöpfung" persönlich zu dirigiren; auch ist es sehr wahrscheinlich, daß Herr Professur E. Brambach von Bonn, der den von dem Milwaukeer Bürger John Plankington ausgesetzten Preis von 1000 Dollar für die Festkomposition „Columbus" erhielt, die Aufführung seines Werkes leiten wird.

Die Leitung des Festes, an deren Spitze die Herren Heinrich M. Mendel, Bundespräsident, und E. Catenhusen, Musikdirigent, stehen, liegt in den Händen umsichtiger Männer. Herr Mendel ist ein Breslauer Kind. Erwanderte 1854 nach den Vereinigten Staaten aus, kam nach Milwaukee und wurde 1859 Mitglied des Musikvereins, in welchem er wiederholt zu den verschiedensten Ehren- und Vertrauensposten gewählt wurde.

Herr E. Catenhusen wurde zu Ratzeburg im Großherzogthum Lauenburg im Jahre 1841 geboren, besuchte daselbst das Gymnasium und dann die Universitäten Göttingen und Leipzig, wo er Philosophie und Geschichte studirte. Er ist ein Schüler Ignaz Lachner’s. Jn den Städten Riga, Königsberg, Köln, Chemnitz, Hamburg und Berlin (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater) wirkte er als Operndirigent. Während seinerHamburger Thätigkeit komponirte er die beiden Görner’schen Volksstücke: „Der Rattenfänger von Hameln“ und „Frau Holle“. Das erstere Stück wurde zweihundertdreißigmal in Berlin aufgeführt. Dann folgte die Komposition der Musik zu dem Beaumarchais’schen Stück „Die Hochzeit des Figaro“, das Dingelstedt neu bearbeitet hatte und für das Wiener Hofburgtheater ankaufte. Von Berlin ging Catenhusen nach New-York, um die Stelle des Kapellmeisters ain Thalia-Theater zu übernehmen. Nach sechs Monaten aber vertauschte er diesen Platz schon mit einer Thätigkeit an der englischen Bühne. In dieser Stellung als Kapellmeister und Regisseur des Kasino brach er die Herrschaft der Londoner Oper und führte die deutsche zum Sieg. Im Sommer 1884 wurde er zum Dirigenten des Milwaukeer Musikvereins gewählt und in dieser Stellung auchmit der musikalischen Leitung des großen Bundessängerfestes betraut. –

Noch in einer Beziehung ist das bevorstehende Fest bemerkenswerth. Zum ersten Male wird sich an demselben auch ein englischer Verein betheiligen. Nicht mit Unrecht darf man diese Thatsache als eineErrungenschaft der deutschen Musik betrachten. Denn wirft man einen Blick rückwärts und erinnert sich, mit welcher Verachtung vor ungefähr 40 Jahren das Stockamerikanerthum auf die deutschen Sängerherabsah, ja wie selbst vor 15 Jahren eine bedeutende Zeitung in Cincinnati über das Programm des berühmten Theodor Thomas’schen Orchesters sich dahin aussprach: sie – die Amerikaner – hätten noch nicht genug Sauerkraut und Limburger Käse gegessen, um die Programme verdauen zu können, so kann man sich jetzt nicht genug wundern, wie es gekommen, daß heute dieselben Amerikaner Beethoven, Mozart, Gluck, Haydn, Schubert, Bach, Wagner etc. als die vorzüglichsten Heroen der Musik anerkennen und förmliche Pilgerfahrten zu den Sängerfesten der Deutschen machen. Es ist dies von vielen ein Beispiel, daß der deutsche Geist sich immer mehr Bahn bricht in Amerika.

Nach dem verdienstvollen deutsch-amerikanischen Geschichtsforscher G. A. Rattermann in Cincinnati ward die älteste Musik, die in Amerika gepflegt wurde, von spanischen Geistlichen und Mönchen nach der neuenWelt verpflanzt. Sie bestand ausschließlich in dem zum Gottesdienste gehörigen gregorianischen Gesang. Mit den Puritanern, welche im Jahre 1620 mit der „Mayflower" auf Plymouth Rock landeten, ward das ersteKirchenlied eingeführt. Die Melodien waren höchst einfach und dem von Morot und Beza herausgegebenen Psalmbuch entlehnt, zu welchem der Elsasser Wilhelm Frank passende Choralmelodien schrieb und wahrscheinlich auch komponirt hat. Bis zum Jahre 1815, als in Boston die „Haydn and Händel Society“ gegründet wurde, diente der Gesang ausschließlich dem Gottesdienste. Durch diese Gesellschaft trat die Musik, das heißt der Gesang, aus der Kirche in den Koncertsaal über, freilich noch die religiöse Richtung im Auditorium, dem sich zunächst die Messen der größeren Komponisten anreihten, verfolgend.

Merkwürdig ist es jedenfalls, daß die Einführung des ersten mehrstimmigen Gesanges in Amerika, soweit man fühlbaren Grund in dieser Beziehung hat, von einem Deutschen ausging. Dieser Pionier des vierstimmigen Gesanges und auch wohl der Instrumentalmusik in Amerika ist der zu Rechegg, jetzt Recha, bei Kaltern an der Etsch in Tirol geborene deutsche Jesuitenmissionar Pater Antonius Sepp, welcher am Rio Plata inParaguay bereits im Jahre 1692 einen vierstimmigen Chor, Sopran, Alt, Tenor und Baß, sowie ein dazu gehöriges Orchester aus den Indianern eingeübt hatte, welche lateinische und deutsche Gesänge – Messen, Vespern, Litaneien etc. – mit Musik und Orgelbegleitung sangen. Pater Sepp selber war Musiker und spielte alle damals bekannten Instrumente mit ziemlicher Fertigkeit. Er hatte in Augsburg Theorie – Generalbaß und Harmonielehre – studirt und komponirte selbst viele der Tonwerke, welche er mit seinen Indianern aufführte. Er hatte somit den ersten deutschen Gesang- und Musikverein ins Leben gerufen.

Die Feststadt Milwaukee am Michigansee, obgleich noch sehr jung – sie feierte im vergangenen Jahre das fünfzigste Jahresfest ihrer Gründung –[450] ist eine Großstadt, denn ihre Bevölkerung zählt 160000 Einwohner, vondenen wohl rund 100 000 deutsch sprechen. Dementsprechend herrscht in ihrauch ein recht reges deutsches Leben. Zahlreiche Gesangvereine pflegendas deutsche Lied. Funf Turnvereine blühen, und die neuesten von ihrenHallen würden jeder Großstadt Europas zur Zierde gereichen, so prachtvollsind sie ausgeführt. Neun deutsche Zeitungen, darunter drei tägliche,„Herold", „Seebote" und „Freie Presse“, versorgen das deutsche Lesepublikum.Von den Wochenblättern verdient die „Germania", derenAuflage 80 000 Exemplare übersteigt, genannt zu werden. Die hauptsächlichstenAemter der Stadt befinden sich ihrer Mehrzahl nach in Händender Deutschen, auch das Oberhaupt der Stadt, der Bürgermeister EmilWallber, ist ein Deutscher. Wer Mllwaukee besucht hat, der erkenntwillig an, daß es mit Recht den ehrenvollen Beinamen „Deutsch-Athen" führt.

An der Stelle, wo sich heute die Stadt befindet, wohnten schon in grauer Urzeit Menschen, die jedoch, nachden zu Tausenden gefundenen Schädeln, nicht der Rasse der Rothhäute angehörten. Nach ihrem Verschwinden ließen sichhier verschiedene Indianerstämme nieder.Dr. Rud. Koß erzählt in seiner Chronik, daß die Hügel und Höhen, auf denen Milwaukee liegt, ein geweihter,heiliger Platz waren. Ehe die Indianer denselben betraten, wurden die Tomahawks vergraben, die Waffen abgelegt, und vorEröffnung des dem Großen Geiste geweihten Festes führten die Rothhäute den Pauwau – Friedenstanz – auf. Dereinst begraben zu werden amFuße dieser Hügel, war der sehnlichste Wunsch manches Indianers. Als Solomon Juneau, der erste wirkliche Ansiedler und spätere GründerMilwaukees, sich mit einer Frau und einem Kinde am 14. September 1818 unter den Rothhäuten ansiedelte, lag das Indianerdorf Milwaukeean der Mündung des gleichnamigen Flusses. Es wurde von Pottawatomies bewohnt, deren Häuptling Onaugesa hieß. Im Gegensatz zur Mehrheitder berüchtigten Milwaukee-Indianer, war er ein freundlicher würdiger Mann, der sich die Zuneigung der Weißen in hohem Grade zu gewinnenwußte. Er erreichte ein hohes Alter, und sein Name wird von den noch lebenden alten Ansiedlern mit Achtung genannt.

E. Catenhusen,
Festdirigent des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

H. M. Mendel,
Festpräsident des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

Nahezu 16 Jahre wohnten Juneau und die Seinen als die einzigen Weißen unter den Rothen. Dann erst kamen andere Pioniere. Dererste Deutsche traf schon 1834, von Detroit in Michigan kommend, ein. Er hieß Bleyer und war seines Handwerks ein Drechsler. Drei Jahrespäter ließ sich der Büchsenschmied Matthias Stein nieder. Die Illustration auf S. 441 zeigt uns die Blockhütte dieses Pioniers auf einem Berge imWaldesdickicht. Am Fuße des Berges haben Pottawatomies ihre Wigwams aufgeschlagen. Das Wild war so zahlreich, daß es bis an die Behausungder Bewohner kam. Der alte Stein, dessen Bild unten links auf der Illustration sichtbar ist, erfreut sich noch des Lebens, während sein Freund, derHäuptling Onaugesa (dessen Portrait rechts auf der Illustration angebracht ist), nach dem Glauben seiner Stammesgenossen längst in den ewigenJagdgründen weilt. Nichts ist mehr geeignet, das Emporblühen einer Stadt in den Hinterwäldern des Nordwestens zu veranschaulichen, als wenn man mit diesemBilde die Gesammtansicht der Stadt vergleicht, die sich jetzt, 50 Jahre später, an demselben Orte erhebt, wo früher nur vereinzelt unter den Bäumen des Urwaldes Blockhütten standen. Welchkurze Zeit! Welch große Veränderung! Dort, wo vor 50 Jahren das Geheul der Wilden durch die Luft erscholl, erklingen heute deutsche Weisen; dort, wo die Rothhäute in ganzen Stämmen nach ihrem Brauche Festefeierten und Gebete zum großen Geiste emporsandten, werden in wenigen Wochen die Sänger aus der ganzen Union zusammenströmen, um deutsche Lieder an dem Ufer des Michigan ertönen zu lassen zum Ruhme und zur Ehre des Germanenthums. G. M. H.

Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.

(Fortsetzung.)

4.

Da Zeit Geld ist und ich diese Geldsorte im Ueberflusse besaß, hatte ich einen sogenannten Bummelzug gewählt und zu der sonst nicht langen Fahrt von dem kleinen Bade am Fuße des Harzes bis zur großen Stadt an der Spree einen ganzen Tag gebraucht. Wenigstens war der Sommerabend schon stark hereingebrochen, als die Eisenbahnschnecke langsam in die Halle glitt, und der Durchrüttelte das Gefängniß, welches er zuletzt mit dreißig oder vierzig tabakrauchenden Personen getheilt, verlassen durfte, um alsbald von Jemand umarmt zu werden, den er im ersten Augenblicke nicht kannte: einem schmächtigen, in seinem Anzuge vernachlässigten, mit farblosen Augen träumerisch aus blassem Gesichte blickenden Mann, der fünfzig Jahre alt zu sein schien, und in welchem er dann doch Bruder Otto erkennen mußte, der nach seiner Berechnung noch nicht dreißig zählte. Ich hütete mich, der traurigen Empfindung Ausdruck zu geben, die bei diesem Anblicke mein Herz erfüllte und mit dem traurigen Lächeln auf dem blassen Gesichte korrespondirte; konnte aber doch einen leisen Ruf des Schreckens nicht ganz unterdrücken, als jetzt eine schwere Hand auf meine Schulter schlug und eine rauhe Stimme rief: „Haben wir den Ausreißer endlich!“

Nun, es war kein Schutzmann; es war H. H. – Herr Heinrich Hopp – der vor mir stand und mich jetzt in seine Arme schloß, wobei ein böser Fuselgeruch mich rings umhauchte. Und ach, dem bösen Dufte entsprach die Erscheinung des alten Freundes: als wenn der joviale Fuhrherr von ehemals inzwischen zum Fuhrknechte geworden wäre – so vergröbert däuchte mir seine Gestalt, Miene, Stimme, sein Lachen – Alles, Alles!

Ich suchte meine Verlegenheit hinter der Frage nach meinem Gepäcke zu verstecken; H. H. hatte bereits für Alles gesorgt, oder würde doch für Alles sorgen. Ob Einer, wie er, nun schon zwei Jahre lang in dem vertrackten Neste von Berlin wohnen und tagtäglich drei Droschken unterwegs haben solle – dazu eine Nachtdroschke – und den Rummel nicht kennen! Draußen halte seine Droschke – Gepäckdroschke, Nummer einundzwanzig – vierundvierzig; dahin sollten wir uns scheeren. In fünf Minuten habe er den ganzen Krempel auf dem Verdecke, und wenn’s zehn Koffer wären.

Er sagte oder schrie das Alles vielmehr in unserem heimischen Platt zum Ergötzen der Umstehenden und zum Verdrusse eines Schutzmannes, der jetzt herantrat und ihn gelassen hieß, nicht dergleichen ungebührlichen Lärm zu machen. H. H. maß den Mann mit wüthenden Blicken, begnügte sich dann aber doch auf Otto’s ängstlich-leises Zureden mit ein paar in die Bartstoppeln gemurmelten Worten, welche der verständige Beamte lieber nicht hören wollte.

„So ist er nun immer,“ sagte Otto seufzend, während wir bereits, H. H.’s harrend, in der bezeichneten Droschke saßen; „immer wüthend auf die Welt, als ob die an seinem Unglücke schuld wäre. Ich sollte nur die Hälfte von seinem Vermögen gehabt haben – nur ein Viertel, ich wollte jetzt ein anderer Kerl sein.“

Und der gute Mensch seufzte abermals. Ich hatte starke Bedenken an der Richtigkeit dieser Behauptung. „Wie steht es denn bei Dir?“ fragte ich.

„So, so, la, la!“ war die Antwort.

[451] Ich hatte allen Muth zu weiteren Fragen, ja, in diesemMomente überhaupt allen Muth verloren. Der Eintritt in dieneue Welt war auch gar so kläglich. Dieser Kummermann, derda jetzt, als hätten wir uns sonst auf der Welt nichts zu fragenund zu sagen, von mir abgewandt zur offenstehenden Wagenthürins Leere starrte; ein alter Freund, der in so fragwürdiger Gestaltso unerwartet vor mich getreten war in seiner Atmosphärevon Fusel und jedenfalls selbstverschuldetem Unglück; das Schreiender auf dem Platze sich drängenden, schiebenden, stoßendenMenschen: das Rasseln der vorrückenden oder abfahrenden Wagen;der Regen dazu, der den ganzen Tag gedroht und jetzt erstlangsam, dann heftiger und bald in Strömen fiel – das wardie Wirklichkeit, nach der ich mich gesehnt aus der geschminktenLüge heraus, die mir jetzt wie ein Feenland erscheinen wollte!

„Da hätten wir den Krempel!“ sagte H. H., zu uns in denWagen steigend, während mein Koffer oben auf das Verdeckherabkrachte – „fort!“

Und fort ging es, nicht eben schnell. H. H. hatte die Mähreerst gestern gekauft, und eine niederträchtige Schindmähre war’smit Gallen und Spat, ein Krippensetzer, der nicht fünf Thalerwerth sei und für den er fünfzig gegeben habe. Er müsse betrunkengewesen sein; anders könne er sich so eine dicke Dummheitnicht erklären; aber das komme von dem niederträchtigenSchnaps in dem niederträchtigen Neste, wo man einen richtigenKognak oder auch nur Korn nicht für eine Million haben könne.

In diesem Tone ging es fort (mit untermischtem Schimpfenauf den Schutzmann, die dämliche Blechkappe, die einem ehrlichenKerl das Maul verbieten wollte) während Otto, uns gegenüber,kein Wort sprach, und ich nur den einen Wunsch hatte, daß diesetriste Fahrt endlich einmal ein Ende nehme, auf der mir der beständiggegen die Scheiben klatschende Regen nur unsichere Blickeauf die Umgebung erlaubte. Stattliche Häuser anfangs und Prachtbauten,unter denen ich nach gesehenen Abbildungen das BrandenburgerThor zu erkennen glaubte; weiter durch Straßen; übermächtige Plätze, die mit Lichtern übersäet waren, deren Strahlensich in den Regentropfen auf den Scheiben brachen; über Brücken;wieder über Plätze; durch engere Straßen, kümmerliche Gassen,weiter, weiter nach Moabit, wie ich endlich aus dem schweigsamenOtto nach mancher wiederholten Frage herausbekam. Essei keine gute Geschäftslage für einen Tischler; aber was wolleman machen? Man wohne da noch immer ein bischen billiger,er wenigstens; es sei aber auch danach.

Otto schwieg; ich schwieg, und H. H., der zuletzt sehr undeutlichgesprochen hatte, schwieg ebenfalls. Noch immer rumpeltedas Gefährt auf dem jetzt sehr holprigen Pflaster in monotonerLangsamkeit weiter. Dann hörte auch das Pflaster auf; es gingSchritt vor Schritt in einem sandigen Wege, der, nach den hierund da aufgeschichteten Balken und Brettern zu schließen, übereinen Zimmerplatz zu führen schien; endlich hielten wir. H. H.erwachte und schrie. „Halloh!“ Otto reichte mir die Hand undsagte mit muthloser Stimme: „Willkommen!“ schlug dann abersofort den Rockkragen in die Höhe und lief durch den Regen indas Haus, ohne sich nach mir und H. H. umzusehen, der sichinzwischen mit meinem Koffer beladen hatte. Ich wollte es nichtleiden; es gab einen kleinen Streit, während dessen in der Hausthürein paar Kinder sichtbar wurden, die aber bei meiner Annäherungsofort wieder verschwanden. Otto stand mit einer Lampeauf dem Flure und leuchtete uns voran in ein Zimmer linkerHand, wo er die Lampe auf den runden Tisch vor dem Sofasetzte und sagte, daß seine Frau gleich kommen werde. Dannwar er wieder verschwunden, auch Herr Hopp hatte draußen nochmit dem Kutscher zu sprechen; ich blieb allein und hatte Zeit,mich in dem Zimmer umzusehen.

Ein ziemlich weites, niedriges Gemach, in welchem einmuffiger Geruch herrschte, als ob das Haus sehr feucht sei oderin der unmittelbaren Nähe eines Sumpfes liege. Dennoch konntendie beiden Fenster erst während des Regens geschlossen sein, dennvor jedem derselben stand auf den wurmstichigen Dielen einegroße Lache, von welchen nasse Spuren nach allen Richtungenliefen, augenscheinlich von Kinderfüßen. Auch sonst war es wüstund unwirthlich in dem großen Raume, der fast keine Möbelenthielt und es doch fertig gebracht hatte, unordentlich auszusehen.Auf dem Tische vor dem Sofa mit dem kattunenen, stellenweisezerfetzten Ueberzuge, auf den paar Rohrstühlen, auf der Kommode,an dem Boden selbst lag allerhand umher: zerknitterte Zeitungen,Anzugsstücke, ein zerrissenes Hemdchen, an dem eben noch genähtschien; eine kleine Puppe ohne Kopf, ein Spielwägelchen mit zweiRädern und einem Holzpferde, dem sämmtliche Beine fehlten;gebrauchtes und ungebrauchtes Geschirr, angebissenes Butterbrot,daneben ein mit einer durchlöcherten Brotscheibe bedecktes Glas,inwendig schwarz von ertrunkenen Fliegen. Ich kam eben ausKreisen, in denen man es mit den Geboten der Ordnung nichtsweniger als streng nahm; aber da hatte selbst die Unordnungeinen heiteren Anstrich gehabt. Hier sah sie trostlos aus unddrückte schwer auf mein so schon gepreßtes Gemüth. Wie solltedies werden?

Otto kam zurück: seine Frau bitte noch für einige Minutenum Entschuldigung, sie müsse erst die Kleinsten zu Bett bringen;ob er mir unterdessen meine Stube zeigen dürfe?

Ich war es mehr als zufrieden; überdies hatte ich mich nochvon dem Staube der langen Fahrt zu reinigen. Otto führtemich über den Flur eine schmale steile Treppe hinauf über einenBoden, der, wie ich sah, ihm als Werkstatt diente, in ein Giebelzimmerchen mit nur oben etwa drei Fuß breit horizontaler, anden Seiten stark abgeschrägter Decke und einem kleinen viereckigenFenster. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Bette, einemStuhle und einem Tischchen, das zugleich als Waschtisch figurirte.

„Ein Schelm giebt mehr, als er hat,“ sagte Otto, sich verlegenin dem Zimmerchen umsehend.

„Und ich will ein Schelm sein, wenn ich mehr erwartethabe,“ sagte ich, indem ich zugleich das Fensterchen aufstieß, frischeLuft hinein zu lassen, an der es hier wie unten fehlte.

„Es ist von dem Leim und dem feuchten Holz,“ sagte Otto;„ich dachte mir gleich, Du würdest das nicht aushalten.“

„Und ich sage Dir,“ erwiderte ich, „mir ist auf der Weltkein Geruch lieber. Das ist ja gerade wie beim Vater. Ichdas nicht aushalten! Und sieh doch! Das ist ja gar Wasser – Schiffe – was heißt denn das?“

Ich stand an dem offenen Fenster. Dicht vor mir, nurdurch einen schmalen Uferstreifen getrennt, dämmerte es durchden Regen, der jetzt nur noch rieselte: ein mächtiges Flußbild, inwelchem ich viel Einzelheiten just nicht mehr erkennen konnte,trotzdem die Regenluft von einem unsichtbaren Mond ein wenigdurchhellt war, hier und da auf den Ufern hüben und drübendie Laternen brannten und von den Schiffen oder aus Nachbarhäusernein matteres Licht durch den Dunst herüberschimmerte.

„Das ist die Spree,“ sagte Otto. „Ich freue mich, wennes Dir gefällt. Meine Frau meint, es sei sehr ungesund, hierzu wohnen; aber es ist billig – das ist die Hauptsache. Na,Du kommst wohl hernach herunter. Das Licht lasse ich oben.“

Als ob ich mich ohne das Licht hätte wieder herunter finden können!

Kopfschüttelnd ging ich an das Reinigungswerk, bei dem ichmich möglichst beeilte, obschon es mich, der Himmel weiß es, garnicht drängte, wieder nach unten zu kommen. Dieselbe Stunde,in der wir uns gestern Abend nach der Vorstellung zu einemAbschiedsschmaus zusammengefunden hatten! Es fehlte nicht viel,so wären mir bei der Erinnerung die Augen naß geworden.Indessen: die Reue kam zu spät. Und ich bereute ja nichts. Eshätte da unten noch viel armseliger aussehen können, wenn esnur ordentlicher gewesen wäre. Ich erinnerte mich, daß Goetheeinmal gesagt hatte, er mochte noch eher ein Verbrechen begehen,als Unordnung dulden. Aber gab es nicht armselige Verhältnisse,und waren Bruder Otto’s etwa solche, welche, weil sie wider dieOrdnung sind, auch wiederum die Ordnung nicht dulden? Daswar eine von den vielen Fragen, auf welche mir die Antwort zuholen ich ja eben hierhergekommen war. Also vorwärts!

Und da öffnete ich denn unten wieder die Thür, um alsbaldvon zwei kräftigen Frauenarmen umfangen und von einem kräftigenFrauenmunde herzlich geküßt zu werden. Die gute Frau Hopp!und ich hatte auch nicht mit einem Gedanken daran gedacht, daß,wenn H. H. in Berlin war, seine weitaus bessere Hälfte schwerlichfern sein würde! So war denn meine Ueberraschung, die alteFreundin hier zu finden, ganz aufrichtig, und meine Freudewahrlich nicht minder. Und wahrhaftig, da tritt hinter dembreiten Rücken des Vaters, der nun in ein schallendes Gelächterausbricht, Christine hervor und reicht mir beide Hände, trotzdemder Vater ruft. „Ei, so mache es doch wie die Mutter, dummes[452] Gör! Ihr seid ja Nachbarskinder!“ Nun, Christine war damalsschon aus den Kinderschuhen, und ist jetzt ein schönes, schlankesMädchen, dessen Augen lange nicht mehr so hell blicken, alsdamals, und dessen Wangen nicht mehr die fröhliche gesunde Röthehaben. Auch sonst liegt es wie ein melancholischer Hauch überdem schönen bleichen Gesicht. Dafür ist ihr Anzug, mit dessenAkkuratesse und Sauberkeit es immer bedenklich stand, von fastausgesuchtem Geschmack, was mir mißfällt, ich weiß nicht warum;vielleicht nur, weil Mama Hopp sich die ganze alte Gleichgültigkeitgegen ihre Erscheinung mit der obligaten Frisur von gestern unterder zerknitterten Haube treu bewahrt hat.

Aber ich habe keine Zeit, darüber zu grübeln, denn ich mußjetzt meine Schwägerin begrüßen, die eben aus dem Nebenzimmerkommt: eine kleine schwächliche Person mit einem kleinen Gesicht,das früher vielleicht hübsch gewesen ist, jetzt aber durch Krankheitund Sorgen etwas beängstigend Fades, Verkümmertes und Versäuerteshat. Doch versucht sie zu lächeln, als sie mir nun dieHand reicht und ein paar Worte sagt, die gewiß freundlich gemeintsind, obgleich ich kaum eine Silbe verstehe, so leise spricht sie.Ich antworte ihr, wie mir’s ums Herz ist: daß ich hoffe, ihrdurch meine Gegenwart keine neue Last aufzubürden, und ihraufrichtig für das freundliche Willkommen danke, auf das ichfreilich gerechnet, nachdem sie Otto die Erlaubniß gegeben, michkommen zu lassen.

Ich habe der Frau nicht schmeicheln wollen, aber sie siehtgeschmeichelt und dankbar aus; ich sage mir, daß sie durchKomplimente nicht verwöhnt ist, und daß, Alles in Allem, es nichtschwer halten wird, mich mit ihr auf einen guten Fuß zu stellen.Sie läuft auch sogleich in das Nebenzimmer und kommt mit denbeiden ältesten Kindern zurück, die eben haben ins Bett gehensollen und nicht wollen, da sie den neuen Onkel erst sehen möchten.Es sind Zwillinge: ein Knabe und ein Mädchen von sechs odersieben Jahren mit blassen, dürftigen Gesichtchen. Sie wollen nundoch nicht hinter der Mutter hervor, die darüber schilt, woraufBeide anfangen zu weinen und wieder in die Schlafstube zurücktransportirt werden.

Unterdessen hat sich die andere Gesellschaft um den Sofatischgesammelt, Herrn Hopp zuzusehen, der mit großem Eifer in einerSuppenschüssel Punsch braut, zu welchem die Damen Hopp dieIngredienzen mitgebracht haben. Einen alten Freund wie michnach so langen Jahren nicht mit einem guten Trunk zu empfangen,das gehe gegen Hopp’sche Gewohnheiten, so viel werde ich wohlnoch wissen. Und Nachbarn seien wir auch wieder, wenn auchnicht gerade Wand an Wand, wie ehemals. Da wollen wirEines auf die alte neue, gute Nachbarschaft trinken!

So redeten Herr und Frau Hopp durch einander; Christinelächelte manchmal dazu, wenn auch nicht mit der Lustigkeit vonehemals, und ich empfand es seltsam, daß Otto und seine Frau,die wieder hereingekommen war, dabei standen und die Hopp’sin ihren Räumen die Honneurs machen ließen, als ob sie dabeinicht weiter betheiligt seien.

Endlich war das schwierige Werk vollendet. H. H. wischtesich den Schweiß von der Stirn, kostete das Gebräu noch einmalund meinte, er glaube, daß es so gut sei. Wir waren im Begriffuns zu setzen, als die Thür nach dem Flur langsam geöffnetwurde und auf der Schwelle ein anderes altes bekanntes Gesichterschien: Karl Brinkmann! Wie hatte ich vergessen können, daßdie Fuhrherr Hopp’sche Familie ohne Kutscher Karl Brinkmannsich gar nicht denken lasse! Ich mußte mit meiner Freude, denalten lieben Menschen, den treuen Mentor unserer Kinder- undKnabenspiele, meinen Exercirmeister aus der kriegerischen Zeit,wieder zu sehen, einigermaßen an mich halten, um nicht FrauHopp’s Eifersucht zu erregen. Auch kam mir der gute Menschdarin entgegen, indem er selbst sich bescheiden zurückhielt und sichwohl mit an den Tisch setzte, aber etwas abseits, genau so, wieich ihn in den guten Hopp’schen Tagen, wenn ein Fest im engstenFamilienkreise gefeiert wurde, auch hatte sitzen sehen.

Ach! sie waren vorüber, die guten Hopp’schen Tage, aufNimmerwiederkehr! Wenn ich daran noch hatte zweifeln können,so erfuhr ich jetzt in den Gesprächen, die sich fast nur darumdrehten und in welchen H. H. selbst das große Wort führte, dieganze tragische Geschichte von dem Niedergang und Fall derHopp’schen Herrlichkeit. Den Niedergang hatte ich selbst ja nochin der letzten Zeit beobachten können, ohne freilich zu ahnen, daßder Fall so schnell eintreten und so tief sein wurde. Natürlichwar Bismarck an Allem schuld. Bismarck hatte den Krieg eingerührt,und der Krieg den Ruin gebracht. Erst das Kriegsjahrselbst, wo Handel und Wandel stockte, das Geld sich verkroch undnur mit Wucherzinsen herauszulocken war, es keine Lustbarkeitenmehr gab und die Menschen vor lauter Aufregung nicht mehrans Sterben dachten; dann das Milliardenjahr, wo, wie H. H.sich ausdrückte, die Juden im dicken Rohr saßen und sich die bestenPfeifen schnitten und der kleine Mann flöten ging.

„Das hat mir den Rest gegeben,“ schrie er, auf den Tischschlagend, „und wem nicht noch! der ganzen Hafengasse, wie wirda waren! Zwischen den Fingern hatte er uns ja schon allevorher, der verdammte Manichäer; aber nun konnte er fest zufassenund uns ausquetschen – so!“

Und H. H. ergriff ein paar Citronenschalen, die neben derPunschschüssel lagen, preßte sie in seiner rothen Faust und warfsie wüthend wieder auf den Tisch.

Ich bekam nun schlimme Dinge über den kleinen Mann imGiebelhause zu hören. Nach H. H.’s Darstellung hatte HerrIsrael schon vor dem Kriege sämmtliche Bewohner der Hafengassezu seinen Schuldnern gehabt, so daß ihm die Hälfte aller Häuserthatsächlich gehörte; die andere habe er noch während des Kriegsjahresund in dem folgenden durch Angebote, denen die Leutenicht zu widerstehen vermochten, in seinen Besitz gebracht. Darüberdürfe man sich nicht wundern, wenn man bedenke, daß eine langeReihe der großen Herren auf dem Lande ebenso von ihm ausgewuchertund ausgekauft worden wären, die freilich zum Theilnoch auf ihren Gütern gesessen hätten, Eigenthümer zum Schein,in Wirklichkeit Verwalter J. J.’s, der sie jeden Augenblick vonHaus und Hof hätte jagen können. Denen in der Hafengasse seies so gut noch nicht einmal geworden; sie hätten von Haus undHof gemußt, da J. J. Alles niederreißen ließ, um für sechs großeKornspeicher Platz zu schaffen, die er einen neben dem anderendahin gebaut, wo früher die fünfundvierzig Häuser mit ihrenHöfen und Gärtchen gestanden. Auch der Wall sei abgetragenworden – alles Speicher vom Hafenthor bis zur Johanniskirche!Könne man es den armen Leuten verdenken, die so für ein elendesStück Geld, das ihnen der Jude hinterher doch wieder aus derTasche zu ziehen gewußt habe, um ihr Eigen gebracht waren,wenn sie sich nicht gutwillig in ihr Schicksal hätten finden unddem Manichäer nachträglich den Spaß versalzen wollen?

Und hier kam in der traurigen Geschichte eine Episode, die,um der dabei Betheiligten willen, mein Interesse aufs Schmerzlichste erregte.

Was ich aber aus den sich durchkreuzenden und zum Theilwidersprechenden Berichten als Faktum herausschälen konnte, war Folgendes:

Es hatte sich der Bewohner der kleinen durch den Israel’schenSpekulationsgeist aus ihrem jahrhundertelangen Schlafe erwecktenStadt eine fieberhafte Unruhe bemächtigt, an welcher freilich alleGemüther teilnahmen, aber in sehr verschiedener Weise. Eineliberale Minorität, an ihrer Spitze selbstverständlich Professorvon Hunnius, hatte sich für die Neuerungen und den großenNeuerer, in welchem sie den Wohlthäter und Regenerator dersonst ihrem Untergange entgegengehenden guten alten Stadt sahen,begeistert, während eine starke konservative Majorität aus ebendiesen Neuerungen umgekehrt den Untergang der Stadt prophezeite,die ihnen nur, weil sie eine alte war und so lange sie am Altenfesthielt, eine gute däuchte. Der unermüdliche Vorkämpfer dieserPartei war der Pastor Renner von der Johanniskirche, der allsonntäglich gegen den Tanz um das goldene Kalb von der Kanzeldonnerte und an den Wochentagen in seiner neugegründetenkonservativen Zeitung (Redakteur Ernst Streben) für Gott, Königund Vaterland gegen die neugegründete liberale Zeitung (Herausgeber Professor von Hunnius) und die goldene jüdische Internationale mit ihrem sogenannten christlichen, in Wahrheit atheistischenAnhang zu Felde zog.

Nachdem dieser Streit in Wort und Schrift lange genuggewüthet, war denn geschehen was – ich mußte es annehmen – die Führer mindestens der einen Partei nicht bloß vorausgesehen,sondern gewollt und auf jede Weise ins Werk zu setzen sich bemühthatten: der Streit war aus den Zeitungsbureaus und den Versammlungslokalen auf die Straße getragen worden, um dortendgültig ausgefochten zu werden.

[453]

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin:
Der Tempel von Pergamon mit dem Obelisken.

Originalzeichnung von G. Theuerkauf.

[454] So weit war mir der Zusammenhang klar. Nun aber, alses an die Erzählung der Katastrophe ging, drohte, da Alle zugleichsprachen oder zu sprechen versuchten, eine solche Verwirrung hereinzubrechen, daß ich mir die Bemerkung erlaubte, ob es nicht bessersei, vorläufig wenigstens dem Familienvater allein das Wort zu lassen.

Ich hätte aber den Muth zu diesem Vorschlage nicht gehabt,wenn der dicke Herr, je mehr er von dem „Frauenzimmergetränk“zu sich nahm, nicht immer nüchterner geworden wäre. Vielleichtwar es auch nur, daß die bei der Erinnerung so merkwürdigerund für ihn so verhängnißvoller Tage erwachende leidenschaftlicheTheilnahme den Sieg über den Rausch davontrug. Jedenfallsblickte aus seinen verschwommenen Augen etwas von der altenKraft und dem alten Trotz des Bürgers der weiland freienund Hansa-Stadt, als er, mir seine breite Gestalt voll zuwendend,sagte:

„Haben ganz Recht, Lothar! Was wissen die Frauenzimmervon Dingen, bei denen sie nicht zugegen gewesen sind oder dochnicht Hand angelegt haben? Und Brinkmann war immer einalter scheuer Fuchs, der sich retiré hält, wenn’s brenzlich wird,und gar Otto, der die ganze Geschichte nur aus den dämlichenZeitungen kennt! Sie wissen Alle nichts; ich aber weiß es, undso ist es gewesen.“

5.

„An dem Hafen hat es angefangen, denn der sollte erweitertund ausgebaggert werden, daß die Schiffe bis unmittelbar an dieSpeicher herankommen konnten. Darüber mußten aber in demalten Hafen eine Menge Leute ihr Brot verlieren: die Strandkarrerund Sackträger und die Anderen, die Alle oder doch zumgrößten Theil bei der neuen Einrichtung, wo die Schiffe aus denSpeichern heraus beladen werden und ebenso bequem ihre Ladunglöschen konnten, überflüssig wurden. Na, und Lothar, Sie kennen jadie Sorte! Und Matrosen, die nichts zu thun hatten, gab’s in demJahre auch genug; die thaten sich denn zusammen, und wo siesich mit den Maurern und Zimmerern begegneten, da gab esblutige Köpfe. Meinetwegen, sie hatten kein Recht, die Leutevon der Arbeit abzuhalten, aber wenn man die verdammtenSpeicher so in die Höhe steigen sah, das mußte einen ja wurmen,und da man dem Juden selbst nicht an den Kragen konnte, hieltenwir uns an die, die ihm dabei geholfen. Ich sage: wir, dennich bin ein- oder zweimal dabei gewesen. Zu thun hatte ichnichts mehr, und ich gönnte es dem Schuft von J. J. Kommteines Tages der Pastor Renner zu mir und sagt: ,Das ist Allesganz schön, Herr Hopp; aber die Speicher werden darum dochzum Herbst fertig, und jetzt hat er ein großes Terrain vor demSchwedenthor gekauft, darauf will er eine Bierbrauerei en grosbauen, und vor dem Teichthor die sämmtlichen Gärten, die errasiren lassen wird für eine Villen-Vorstadt.‘ – ,Ja,‘ sage ich,,Pastor, der wird uns ja wohl noch Alle in die See werfen, wieverfaulte Heringe. Ist denn dagegen gar nichts zu thun?‘ – ‚Man muß sehen, ob man nicht die Maurer und Zimmerer zumStreiken bringen kann,‘ sagt der Pastor. ,Viel hilft’s auch nicht;aber er kriegt dann doch die Speicher bis zum Herbst nicht unterDach und hat dadurch Tausende an Schaden.‘ – Der Gedankegefiel mir so weit ganz gut, und der Pastor schickte mir den Kerl,den Streben, mit dem sollte ich mich ins Benehmen setzen. Nun,ich und er, der übrigens ein ausgesottener Schuft ist, wie nurje einer einen ehrlichen Kerl in die Tinte gebracht hat – aberich hatte damals ordentlich einen Narren an dem Kerl gefressen –also er und ich, wir beriefen dann eine Volksversammlung zusammen, zu der wir die Maurer und Zimmerer auch einluden,und auf der wir unsere Sache mit ihnen ins Gleiche bringenwollten. Ich präsidirte, und der Hauptredner war der Pastorselbst. Und eine schöne Rede war’s von Einigkeit und Brüderlichkeit,und daß wir alle arme Teufel wären zu unserm Seelenheil,damit wir dereinst in den Himmel kämen, wo wir sicher seinkönnten, Herrn Israel nicht zu treffen, der freilich nicht ganz sogroß wie ein Kamel – das gab ein Gelächter, Lothar, kannich Ihnen sagen! – aber eben so wenig wie ein Kamel durchein Nadelöhr gehe und durch die Himmelspforte auch nicht. Dasbehaupte er, denn er könne es aus der Bibel beweisen. Wenndie Herren Maurer und Zimmerer aber doch so schlechte Christenseien und durchaus einen Juden im Himmel haben wollten, sosollten sie wenigstens dazu das Ihre thun, indem sie ihm vonseinem irdischen Mammon so viel als möglich abnähmen und nichtfür den elenden Lohn arbeiteten, da sie doch jeden Augenblick einendoppelt so großen haben könnten, wenn sie nur zusammenhielten.Na, Lothar, nun war der Rummel im Gang. Mit dem Zusammenhalten sah es freilich man schwach aus, denn die Maurerwollten streiken und auch nicht alle; die Zimmerer und Tischleraber nicht, und nun lagen sich wieder die unter einander in denHaaren. Das ging wohl so acht Tage lang, und jeden Tag eingrößerer Krawall als an dem vorangehenden, bis wir – Strebenund ich – wieder eine Volksversammlung ausschrieben, zu derauch der Professor mit seinen Leuten kam. Das gab einen Tanz!Der Professor und der Pfaff sagten einander die schönsten Dinge.,Jesuit, Volksverführer!‘ rief der Professor; ,Herrgottsleugner,Judenfreund!‘ schrie der Pfaff. Na, Lothar, wenn ich die Sacherecht bedenke, der Professor meinte es mit uns ehrlich, und derPfaff wollte nur sein Müthchen kühlen an dem Juden, und wirsollten ihm die Kastanien aus dem Feuer holen; aber er redeteuns nach dem Munde, und der Andere nicht. Und da wir gegenihn und seine Leute vier zu eins waren, warfen wir sie hinaus,oder wollten sie doch hinauswerfen, und es gab einen furchtbarenSpektakel, als der Streben auf den Tisch sprang und eine Redeanfing, so was haben Sie nie gehört. Der Kerl war wie besessen,raufte sich das Haar und heulte und schrie: es sei eineSünde und Schande, daß sich tausend ehrliche Christenmenschenin den Haaren lägen um des einen Juden willen, und wir solltenvon einander lassen und Buße thun und es machen wie die Vorfahrenvon dem Juden es gemacht hätten, die ihre Sünden alleauf einen Haufen warfen und den Haufen auf einen Bock ludenund den Bock zur Stadt hinaus in die Wüste trieben. Na, Lothar,da war denn der Wagen geschmiert. Der Jud’ muß zur Stadthinaus, schrien sie alle, auch die von der anderen Seite, dennwir waren auf beiden Seiten des Streitens und Raufens müde,und der Jud’ war doch am Ende an Allem schuld. Der Professorwollte dagegen reden; aber sie ließen ihn nicht mehr zu Wortekommen, und so ging’s denn in hellen Haufen in die Stadtzurück – wir waren in dem großen Evers’schen Tanzlokal vordem Teichthor gewesen, wissen Sie, Lothar – und durch dieStadt, wo Alles mitlief, was Beine hatte, daß wir gut und gernan die Zweitausend sein mochten, als wir in die Hafengasse kamen,das heißt an die Speicher, denn eine Hafengasse giebt’s ja wohlnicht mehr, außer dem Haus von dem Juden. Na, Sie kennen es ja, Lothar!“

Ob ich es kannte, das alte hochgegiebelte Haus! Ich sahes im Geist vor mir und war im Hause unten im Familienzimmerlinker Hand bei den geängstigten Frauen und sah diewüsten Haufen die Gasse heraufkommen, voran den Mann da mitder rothglühenden Nase (die er eben in sein Punschglas tauchte)und den schuftigen Streben.

H. H. wischte sich die Lippen und fuhr fort:

„Streben und ich und noch ein Dutzend Anderer hatten alsDeputation hineingehen und dem Juden den Beschluß der Volksversammlung, daß er binnen vierundzwanzig Stunden aus derStadt müsse, ausrichten sollen; aber als wir heranrückten, wardie Straße von Polizisten gesperrt, und auf den Stufen vor derHausthür standen auch noch welche. Der Schuft von Strebenwar plötzlich von meiner Seite weg, als wär’ er in die Erd’geschlupft: das Kunststück verstand ich nicht, und da hatte micheiner von den Polizisten vor die Brust gestoßen, und das läßtsich Heinrich Hopp nicht gefallen, nicht einmal, wenn er nüchternist. Und das, will ich gern zugeben, war ich an dem Tage nicht.Aber wenn meine Frauenzimmer sagen, ich hätte nun wenigstensumkehren sollen, so sind sie eben nicht dabei gewesen. Da sollEiner umkehren, wenn ein paar Tausend hinterherdrängen: Komité,so viel noch da war, Polizisten, Alles in einem Haufen bis vordas Haus, wo der Polizeidirektor selber stand und auf mich einschrieund ich auf ihn, ohne daß Einer ein Wort vom Anderenverstanden hätte. Denn die Menschen tobten wie besessen, undes dauerte auch nicht lange, da hatten sie einen Balken herbeigeholt,mit dem wollen sie die Thür einstoßen. Die Frauenzimmersagen wieder, das hätte ich nicht leiden sollen: aber siehaben gut reden hinterher. Wenn Einer selbst mitten mang ist,sieht die Sache anders aus. So sollt’s denn eben mit dem Balken[455] gegen die Thür, als die von inwendig aufgemacht wird, undJettchen dasteht. Ich werd’s mein Lebtag nicht vergessen, wiedie ausgesehen hat: wie der Kalk an der Wand mit ein Paar sogroßen schwarzen Augen, daß ich sie kaum wieder erkannte. Undsagt ganz ruhig: wir wollten gewiß ihren Vater sprechen; dassei aber unmöglich, denn er sei todt.“

„Was?“ rief ich entsetzt, „todt?“

H. H. kraute sich den breiten Schädel, während die Frauenniederwärts blickten, und für einige Momente eine unheimlicheStille in dem Zimmer herrschte.

„Wie ist denn das gewesen?“ fragte ich unsicher.

„Ich weiß es selbst nicht,“ erwiderte H. H., nachdem ersich zu stärken, einen mächtigen Schluck von dem „Frauenzimmergetränk"genommen. „Sie sagen ja, daß wir ihn auf dem Gewissen hätten; aber er war schon die ganze Zeit in einer mächtigenAufregung gewesen, was ja auch begreiflich ist, und als er nundie ganze Menge die Straße herauf gegen sein Haus kommensah, das hat ihm den Rest gegeben. Er ist in sein Komptoirgelaufen – wissen Sie, Lothar, gleich rechts, wenn man ’reinkommt – und hat wohl noch schnell die wichtigsten Sachen ausdem eisernen Schrank nehmen wollen, aber so weit ist er garnicht mehr gekommen. Sondern nur bis zu dem kleinen schwarzenSofa – wissen Sie, Lothar und da lag er, mausetodt, undseine Frau kniete davor und hatte ihren Kopf an seiner Schulter,und richtete sich auch nicht auf und blickte sich nicht um, als ichund ein paar Andere, die mit mir hereingekommen waren, in derThür standen, und Jettchen, wieder ganz ruhig, zu mir sagte:‚Sie sehen, daß ich Sie nicht belogen habe. Nun sagen Sie esdenen da draußeu, daß wir hier doch in Ruhe weinen können.‘Na, Lothar, ich habe die Israels nie leiden mögen; hatteauch weiter keine Ursache dazu; aber ein schlechter Kerl bin ichnicht, und als das Mädchen so sprach und mich wieder mit dengroßen schwarzen Augen anblickte, daß man es gar nicht beschreibenkann, da wurde mir doch ganz kurios zu Muth, und ich hätteviel darum gegeben, wär’ ich zehntausend Meilen weit weg gewesen.Und wie ich da noch so stehe und nicht weiß, was ichsagen oder thun soll, wird draußen, wo es inzwischen ruhig gewesenwar – oder hatte ich den Lärm nur nicht mehr gehört? – ein mordsmäßiges Geschrei: die Soldaten! die Soldaten! Undrichtig, als ich herauskomme, sehe ich, wie sie von der Hafenseiteheraufmarschiren, über die ganze Breite der Straße, und voranzu Pferde der Major.“

„Von Vogtriz?“ rief ich.

„Na, natürlich! er war ja schon seit dem Frühjahr wiederzurück, weil er vor Paris verwundet war. Darüber war dennder Friede gekommen, und er war gleich bei uns geblieben; warauch, glaube ich, noch nicht ganz auskurirt, und das Bataillonwar jetzt auch wieder eingerückt, aber erst vor acht Tagen. Na,Lothar, jetzt kriegte ich es aber mit der Wuth. Was? erst siehtman ruhig zu, daß der arme Mann ausgewuchert und haus- undbrotlos wird, und dann bringen sie uns unsere Stadtjungens,die wir auf unsere Kosten in den bunten Rock gesteckt haben, unddie Jungens vom Lande, deren Väter auch nicht besser dran undebenso in den Händen der Juden sind, und sollen uns AltenMores lehren und, wenn wir nicht Order pariren, mit blauenBohnen traktiren? Na, das schrie ich denn dem Major zu, alser so weit herangekommen war. Er hat geantwortet: daß esihm selbst leid thue; aber er habe seinen Befehl und dem müsseer gehorchen. Es kann auch was Anderes gewesen sein – ichweiß es nicht mehr. Wie es nun so gekommen ist, weiß ich auchnicht. Sie sagen, ich hätte dem Pferd in die Zügel gegriffen.Es ist möglich; fuchswild war ich, das leugne ich nicht, und erwollte weiter, und ich konnte nicht ausweichen, so dicht drängtensie hinter mir. Sollte ich mich etwa überreiten lassen? Undwie man einen Gaul zum Stehen bringt, das hat doch unserEiner im Griff. Das war aber auch das Letzte, was ich sah undwas ich weiß. Denn im nächsten Moment hatte ich einen Kolbenzwischen den Schulterblättern, daß es mir schwarz vor den Augenwurde, und dann ging Alles drunter und drüber, und es ist nurein Wunder, daß sie mich nicht todtgetreten haben, als ich so aufdem Pflaster lag. Na, so haben sie mich wenigstens nicht todtgeschossen.“

„Sind denn dabei noch andere Menschen ums Leben gekommen?“ rief ich.

„Zwei auf dem Platze,“ sagte H. H., einen Schluck nehmend,„und drei sind hernach im Krankenhause gestorben. Aber habenSie denn von der Sache gar nichts gehört? Sie hat ja kolossalesAufsehen gemacht und stand in allen Zeitungen.“

„Ich habe damals keine gelesen,“ murmelte ich.

„Ja, dann weiß er auch wohl nicht einmal, daß mich dieGeschichte anderthalb Jahr Gefängniß gekostet hat?“ rief H. H.,die Anderen stirnrunzelnd anblickend, als wollte er sie für meineUnwissenheit verantwortlich machen.

„Kein Wort!“ sagte ich.

„Na, das ist schön!" rief H. H., „da wird man ein Märtyrerund trägt seine Haut zu Markt für das Volk und ruinirt darübersein Geschäft, muß aus der Stadt, in der Einem seine Väter undGroßväter gewohnt haben ein paar Jahrhunderte lang, und indas elende Nest von Berlin, wo man nicht begraben sein, geschweige denn leben mag und doch leben muß als Droschkenfuhrherr, und wie lange wird’s dauern, als Droschkenkutscher – da möchte man doch gleich –“

H. H. leerte in großer Aufregung sein Glas. Es warglücklicherweise das letzte in der Terrine gewesen, wie wir Anderenalle denn längst nicht mehr getrunken hatten. Die Frauen warenmüde und wollten nach Hause. Ich stand auf und erklärte, daßich kaum noch die Augen offen halten könne.

„Oho!“ rief H. H., der gern noch geblieben und, wie ersagte, „irgend etwas“ getrunken hätte, „thut mir leid, wenn ichdie Gesellschaft gelangweilt habe!“

„Ich glaube, Niemand, Herr Hopp,“ entgegnete ich, „undmich gewiß nicht. Im Gegentheil, ich habe Ihnen mit demgrößten, wenn auch schmerzlichen Interesse zugehört.“

„Hab’ ich’s nicht gesagt,“ rief Herr Hopp, zu seinen Frauengewandt; „schmerzlichen Interesse! Als ob ich den alten J. J.todt geschlagen hätte! und er nicht aus schierer Angst um seinePapierchen in dem eisernen Schranke gestorben wäre! Aber er istund bleibt ein Judenfreund, der Herr Lothar!“

„Ich bin ein Freund der Familie Israel gewesen,“ sagteich, „das leugne ich nicht, und Sie, Herr Hopp, der Sie meineVerhältnisse so genau kennen, werden das gewiß begreiflich findenund daß mir der Tod des alten Mannes nahe geht.“

„Gar nicht finde ich das begreiflich,“ schrie Herr Hopp, „niehabe ich das begreiflich gefunden. Paßt auf, paßt auf: er wirdnoch ’mal Jettchen heirathen! Ich habe es immer gesagt!“

„Komm’ nach Hause, Alter!“ sagte Frau Hopp ärgerlich.

„Na, na!“ rief H. H., „er wird doch einen Scherz voneinem alten Freunde nicht übelnehmen! Und eine machtig gutePartie ist es. Funkelnagelneues Hauus – bin gestern erst vorbeigefahren: die Alte mit Fräulein Jettchen oben, und Beletage HerrEmil mit der jungen Frau. Soll ja auch eine vielfacheMillionärin sein.“

„Komm, Papa!“ sagte Christine.

„Was habt Ihr nur Alle gegen mich?“ rief H. H. wüthend.„Willst Du nicht auch noch anfangen, Karl?“

„Ich sage ja kein Wort, Herr,“ erwiderte Karl Brinkmann, undes war wirklich das erste, das er nach der Begrüßung wieder sprach.

„Das ist auch so ein Aristokrat,“ rief H. H.; „der hätte amliebsten gesehen, wenn der Herr Major – exküse: Oberstlieutnantund jetzt ist er ja wohl Oberst? Was?“

„Ja,“ sagte Karl Brinkmann, „das ist er – im Kriegsministerium.“

„Und das freut Dich wohl noch gar?“

„I, Herr!“ sagte Karl Brinkmann mürrisch: „lassen Sie mich zufrieden!“

Die Frauen wollten den Zornigen besänftigen, was ihn nur noch mehr reizte.

„Hol’ der Teufel alle Aristokraten!“ rief er, „und die Vogtrizan der Spitze! Die taugen Alle nichts. Das laß Dir gesagt sein,Christine!“

Hier fing plötzlich Christine heftig an zu weinen, auch FrauHopp weinte; die Kinder nebenan, die der Lärm aufgeweckt hatte,begannen zu schreien; ich suchte den Tobenden zu beruhigen, dermir um den Hals fiel und mich unter Schluchzen seinen bestenFreund, seinen einzigen Freund nannte, der mit einem alten, vomUnglück auf Schritt und Tritt verfolgten Mann Mitleid habe.

ich benutzte die weiche Stimmung, um den jetzt wieder völlig Trunkenen mit Karl Brinkmann in die Droschke zu schaffen, die[456] schon seit einer Stunde vor der Hausthür wartete. Den nochimmer schluchzenden Frauen versprach ich, sie morgen nachbarlich,wie in alter Zeit, zu besuchen.

Dann lag ich noch lange oben in meinem Giebelstübchenin dem schmalen Bette, ohne die Erregung, in welche die Erzählungjener traurigen Ereignisse in meiner Heimathstadt michversetzt hatte, besänftigen zu können. Kannte ich doch jedenQuadratfuß der Bühne, auf der das Drama sich abgespielt hatte,und sämmtliche Akteurs: Professor Hunnius, den Pastor Renner,seinen würdigen Helfershelfer Ernst Streben – Alle. Die guteFrau Israel, das arme Jettchen! Welche Stunde mußte es fürsie gewesen sein: die tobende Menge draußen, und drinnen deralte Mann auf dem Sofa, dem kein „He, he?" und „Sie sagten?"mehr über die bleichen Lippen kam! In meines Geistes Aug’sah ich es, das schmächtige todesblasse Mädchen mit den großen,glänzenden, todesmuthigen Augen – den Augen, die mir geleuchtethatten, als ich in den Krieg wollte und sie mir ausganzer Seele den Segen dazu gab! Und ich konnte sie leibhaftigwieder sehen. Sie waren in Berlin! Ich würde sie nicht aufsuchen– selbstverständlich nicht; so würden wir uns schwerlichje begegnen. Es war auch besser, wenn es nicht geschah.

Und der Major, der jetzt Oberst war! und der ja nun auchin Berlin lebte! Lieber Himmel, mich würde er gewiß nicht wiederkennen; ich ihn auf den ersten Blick unter Tausenden! Ihn, denich so oft sah im Wachen und im Traume; ihn, dessen theures Bildich von der Stelle im Herzen, die ihm der kleine Knabe eingeräumt,so oft hatte reißen wollen ohne es zu können, bis ich jetzt längstkeinen solchen Versuch mehr machte und mir sagte, daß ich, undwäre ich tausendmal Demokrat, diesen Aristokraten lieben müsse!

Auch wenn er Feuer kommandirte auf das Volk?

Wie hatte es mich gepackt, als der Mann in seiner Erzählung an die gräßliche Scene kam!

Bürgerblut war geflossen – das Blut von Vätern undBrüdern durch die Kugeln ihrer Söhne und Brüder – auf seinKommando. Ich konnte das Entsetzliche nicht fassen: auf seinKommando! des Gütigen, Liebevollen!

Hatte es sein müssen? Waren alle anderen Mittel erschöpftgewesen? Und ist das ein Mittel, bethörte, verhetzte Menschenzur Vernunft zu bringen, wenn man auf sie schießt? Zur Ruhe!o ja! zur Todesruhe! Zur Vernunft? nimmermehr!

Und war es denn so ganz unvernünftig, was sie verlangtund angestrebt? Wenn das der Fall, weßhalb hatte der alteMann, den sie aus der Stadt haben wollten, einst in einerschwachen Stunde, als ihn ein momentanes Grauen packen mochtevor den ungeheueren Reichthümern, die er unersättlich zusammenscharrteauf Kosten des Volkes, halb zu mir, halb zu sich selbstsprechend, gesagt: „Ich glaube, sie schlagen mich und uns Allenoch einmal todt!“ – Nun, Thomas Münzer hätte nichts dagegen gehabt. Er hätte an jenem Tage auf der Seite des Pöbelsgestanden, der Armen und Elenden, die durch die Unvernunftsocialer Zustände, die sie nicht geschaffen und deren Verantwortungsie nicht zu tragen haben, zu ihrer Armuth, ihrem Elende, ihrerUnwissenheit verdammt sind. Und zu den Folgen, deren letzte darinbesteht, daß die Vertreter der staatlichen Ordnung auf sie Feuer geben.

So taugt doch wohl diese Ordnung nicht ganz? So ist doch wohl etwas faul in diesem Staate?

Er aber war an jenem Tage für diese Ordnung, diesen Staat eingetreten bis zur äußersten Konsequenz und würde es immer thun

Und so würde ich nie seine Hand wieder in der meinen halten und halten wollen; er nie die meine in der seinen, wenn er meine Gesinnung kannte.

Es wäre denn, daß er mich zu der seinen bekehrte, oder ich ihn zu der meinen. Wie konnte das Eine oder das Andere je geschehen? Eh’ mochten Himmel und Erde zusammenkommen!

Und es ging ein Riß durch die Menschheit, daß sich als Todfeinde bekämpfen mußten, deren Herzen sich sonst in herzlicher Liebe gefunden haben würden.

So sollte ich denn auch diese meine Liebe zu ihm, der mir immer als mein Ideal gegolten hatte, aus dem Herzen reißen.Es war das schwerste von allen Opfern, die ich früher und später meiner Ueberzeugung gebracht hatte.

Das zu bringen ich doch entschlossen war und so den Schwur zu halten, den ich geschworen am Sarge des Vaters.

Und den ich im Herzen und in der Gesinnung nie gebrochen, aber auch nie zur herzhaften, leibhaftigen Wahrheit zu machenmit allen Kräften der Seele und des Leibes mich bemüht hatte.

Bis ich den Entschluß gefaßt, der mich hierher gebracht auf einem langen Umwege, welcher dem Träumer, dem Zauderer soviel Zeit gekostet, daß ihm nun keine mehr zu verlieren blieb.

Und er sich durch nichts auf dem Wege, dem rechten, den er endlich betreten, aufhalten lassen durfte.

Durch Nichts und durch Niemand. Hörst du’s, du stolzer Soldat? Du Mann der strengen Pflicht und der staatlichen Ordnung? Auch nicht durch dich!

Der Himmel weiß, wie gern ich dich zum Freunde gehabt hätte. Nun, da du mein Feind sein willst und sein mußt – sei’s drum! Ich ringe mit dir auf Tod und Leben. –

So rasten die Gedanken durch mein pochendes Gehirn.

Und als dem ganz Erschöpften endlich die Augen sich schlossen zu fieberhaftem Schlafe, rang er weiter im Traume mit dem geliebten Manne, wie Jakob mit dem Engel.

Und stöhnte im Traume wieder und wieder die verzweifelnden Worte. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

(Fortsetzung folgt.)

Ausstellungs-Briefe.

Von Hermann von Baudissin.0 Mit Originalzeichnungen von G. Theuerkauf.

1.0 Ein Abend in der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin.

Ihren Wunsch erfülle ich sogleich! Gewohnheit nimmt den Dingen raschihren Glanz und ihre Farbe, und ich möchte Ihnen gern ein Bildder Jubiläums-Ausstellung entwerfen, das noch „staubfrei“ ist, in demdie Gegenstände und Erscheinungen unter dem Reiz der Neuheit ein besonderes Gesicht haben. Ausführliche Berichte mit allen Einzelheitenbringen die Zeitungen, ich muß schon versuchen, Ihnen über das, wasich mit meinen Augen gesehen, was mich insbesondere fesselte, – etwasvorzuplaudern.

Sie wissen, daß selbst die großen Städte noch ihren Taumel habenkönnen, daß kein Fleck Erde so groß ist, daß das Außergewöhnlichste nurwie etwas Alltägliches wirkt. Vielleicht feiern Sie in Ihrem kleinenProvinzialstädtchen gerade das alljährlich wiederkehrende Schützenfest, undAlles rührt und regt sich – wenn auch zum Theil mit erhabener Miene – um daran Theil zu nehmen.

Also: Berlin befindet sich in einem Ausstellungstaumel. Noch sinddie Ueberlegungen wegen der Sommerausflüge nicht ernsthaft – noch giebtes keine Blasirten, die schon wieder nach neuen Anreizungen auslugen – vorläufig ist Moabit der Mittelpunkt des Tages-Vergnügungs-Denkens!

„Wohin gehen wir also morgen?“ „Wo speisen wir um sechs Uhr?“„Wo treffen wir uns Abends?“ schwirrt’s durch die Gesellschaftsklassen.Und: „Rechts neben der Musik vorm Haupt-Restaurant!“ „Im Kafé!“„In der Eingangshalle!“ so lauten die Verabredungen.

Ich hatte keine solche. Ich war allein, als ich gestern meinen Wegnach Moabit nahm. Kurz vor dem Eingang blieb ich stehen, um dasGesammtbild ringsum auf mich wirken zu lassen. Eine endlose Wagenreihe und ein dadurch sich stauender Verkehr! Mit der den meistenMenschen anhaftenden Eile, derselben Hast, die man kurz vor dem Beginnder Theater beobachten kann, verlassen die Ankömmlinge die Wagen,schlagen den Kutschenschlag zu und stürmen zur Kasse. An ihnen vorübereinige Hundert, welche eben den „Tempel der Kunst“ verlassen haben unddie auf den Gleisen wartenden Pferdebahnwagen benutzen wollen. Ebenspeien diese ihre Insassen aus. Herrische Rufe der Schutzleute ertönen.Rasch biegen Wagen aus – hier flieht noch ein Verspäteter über denStraßendamm. Nun geht’s ans Erobern der Plätze – – vor mir breitetsich Moabit mit dem gewaltigen Justizpalast zur Rechten aus; links imGrunde auf den großen Terrains der Lehrter Bahn ist noch spätes eilfertiges Hin und Her. Zwischen den rothen, grünen und gelben Lichtern – es ist gegen neun Uhr Abends – rasen Züge und einzelne gluthäugige,dampfende und schreiende Lokomotiven. Jetzt aber stürmt hoch über denHäuptern der Tausende auch ein Vorortszug der Stadtbahn vorüber – unddas Auge, hin und herschweifend, bleibt endlich haften an den bewimpeltenSpitzen und Thürmen der Ausstellung! Ein reizvolles, großartiges Bild!

Auch ich löse mir jetzt ein Billett und steige die große Treppe hinab.Vor mir der große Kuppelbau, breite Wege, grüne Rasen – das Rauschendes Wasserfalles dringt an mein Ohr. Eilfertig plätschern die silbernenWellen herab und reinigen mit ihrem Athem die Luft.

Aus der Eingangshalle quillt das fluthende Licht und wirft eigeneReflexe auf das Grün und den weißen Sand der Gänge. Da stehtSiemering’s gewaltiges Reiterbild Washington’s zur Linken. Das markigeGesicht schaut in die Ferne; fest hält die kräftige Faust die Zügel desRiesenthieres. Selbst ein Riesenwächter vor dem Eingange in das Allerheiligste des – Vergnügens!

[457] Das Allerheiligste der Kunst – die Gemäldeausstellung – mit ihren schier zahllosen Schätzen zu beschreiben, muß ich den Kunstbewandertenüberlassen. Ich könnte höchstens die Vermuthung aussprechen, daß auch Sie – ohne Hinweis von Seiten der Kundigen – vor den beiden Perlender Ausstellung stehen bleiben und einmal eines der größten Virtuosenstücke und einmal das Produkt höchster Kunsteinfachheit bewundern würden:Gussow’s und Herkomer’s Portraits einer Dame!

Denken Sie sich zwei große Bilder auf einem weißen Hintergrunde – plastisch zum Erstaunen.

Nur in die Tiefen der gefalteten Hände legte Gussow einen dunklen Ton. Alles ist weiß. Der ganzen Lehre von Schatten und Licht wird ein entzückendes Schnippchen geschlagen!

Herkomer aber, verschmähend alle kleinen Partikelchen, durch welche dieses Bild zu seiner großen Wirkung gelangt, grub einen lebenden Menschen in die Leinwand ein. Man möchte auf die schöne Frau zugehen und ihr die Hand zum Gruße bieten. – Kein Schmuck! Selbst die wundervollen Arme dem Beschauer zu zeigen, verschmähte der Realist. Hochgeknöpfte Handschuhe verbergen die Formen und die Farben; nur oben quilltdas vornehme Weiß der Arme zwischen den edlen Linien hervor. – –

Ich stand oben auf dem Plateau der Osteria, welche unser Bild wiedergiebt. Von dem gerade anwesenden genialen und unermüdlichen Arrangeur der Künstlerfeste, dem Bildhauer Neumann, hatte ich mir die Erlaubniß zum Eintritte in das sonst nur den Künstlern und ihren Familien geöffnete „Bijou“ erwirkt. Ich ließ mein Auge über den ganzen Park schweifen. Noch erschienen die elektrischen Flammen wie fremde, ein unberechtigtes Dasein führende Lichter; nur ihre silberfarbenen Töne wirkten mit, um das schöne Bild noch eigenartiger zu machen. Zur Rechten dehnt sich die mit Bäumen besetzte Avenue – eine zweite Lästerallee des zoologischen Gartens – aus. Alles ist dichtgedrängt von Menschen; Tausende wandeln auf und ab. Aus dem Grün der Bäume und Gebüsche schimmern die Lichter wie funkelnde Sonnen. Noch hellerstrahlt’s hervor aus dem Kafé, besetzt mit hundert Tischen und zahllosen lachenden, schwatzenden und lärmenden Menschen. Bald wälzt sich der Strom vorüber, bald wendet er sich links über die Brücke und entschwindet zeitweilig dem Auge. Mitten aus der großen Fläche erhebt sich eine dichte Waldpartie, durchleuchtet von den Lichtern der kleinen Pavillons und märchenhaft verschönt durch den Millionstaub der silbernen Fontainen, die über den grünen Gebüschen emporsteigen.

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Osteria im Ausstellungspark.

Hoch ragt die Kuppel des Haupt-Restaurants empor. Alles ist von Licht umstrahlt, die Militärkapelle spielt; in den Sälen und Glasveranden sitzen Hunderte über Hunderte, ebenso viele drängen, eilen,schleppen, zögern an einander vorüber – ein endloser Rundgang – ein summendes, gurrendes, von der Musik übertöntes Geräusch tönt herüber – Lachen erschallt – Kinder haschen sich – Kellner eilen – Berlin ist lustig!

Nun taucht hinter mir ein vorüberbrausender Zug auf. Wie eine glühende langgestreckte Raupe erscheint und verschwindet dieser. – Stille tritt ein. Die Musik schweigt zeitweilig. Es paßt die größere Ruhe zudem Eindruck, den ich jetzt, zur Linken mich wendend, empfange. In der Abenddämmerung steigt der riesige vornehme, hochaufgetreppte Tempel von Olympia-Pergamon empor. Ernst, würdevoll, umflossen von einemheiligen Etwas der Unnahbarkeit – ein Sitz der Götter – fesselt er das Auge. Mächtige dorische Säulen stützen das Giebelgebälk, das den Prachtbau krönt. Menschen steigen langsam hinauf und schreiten herab.Winzig erscheinen sie, und Ehrfurcht, meint man, müsse sie durchdringen, wenn sie sich dem Zeusaltar nähern. – Vor dem Tempel – von hiergesehen weniger störend für den Gesammteindruck – der Obelisk, einst im iahre 1878 von Kyllmann und Heyden erbaut als Ovation für unseren großen Kaiser, jetzt – zur Ausführung geplant – noch einmal als Modelldem Beschauer geboten.

Weiterhin, näher der Osteria, bleibt der Blick haften an dem altägyptischen Tempel mit seinen großen eingelassenen Pharaobildern. Ruhende Sphinxe flankiren den Eingang des von Säulen getragenen, mit Inschriften und Zeichen geschmückten und durch eine Kolossalstatue von Ramses gehobenen großartigen Baues. Zu vollerer Wirkung gelangen diese Nachbildungen älterer Kunst durch die flachere und weniger belebteUmgebung. In ihrer einsamen Größe wirken sie überraschend.

Ich steige hinab und trete in die Osteria ein. Diese Kopie einer zum Theil auf altem Gemäuer aufgebauten, durchweg von Künstlern besuchten italienischen Schenke ist so eigenartig schön, daß eineBeschreibung – die beste – hinter der Wirklichkeit zurückbleiben muß. Jedes Künstlerauge wird davon entzückt sein. Mit dem äußersten Raffinement ist jeder kleinsten Einzelheit Rechnung getragen, und doch wirkt das Ganze durchaus unabsichtlich.

Man hat keine träge, abgenutzte Farbe verschmäht, keine Unregelmäßigkeit, keine Spuren des Alters und des Gebrauchs.

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Der ägyptische Tempel.

Die hochaufstrebende Säule mit dem Heiligen, der Treppenaufgang, die Seitenmauer, das plätschernde Wasser, das von Weinlaub umrankte Dach, die Wände mit ihrem ziellos aagebrachtenSchmuck, das innere mit seiaen Säulen, den besponnenen Flaschen und Zwiebelgewächsen, das kleine Küchenfenster und das Büffett, die Tische, die Stühle – und vor Allem die mit einer wahrhaft genial–übermüthigen Laune von den ersten Künstlern Berlins bemalten Wände – das Alles muß man sehen.

Und zum Schluß bitte ich Sie, noch mit mir einzutreten in das Innere der großea Bauten. Im Pergamon-Tempel breitet sich, von der Sonne umflossen, in den eigenthümlich gedämpften Farben des Südensdas Halbpanorama der Stadt und der Burg von Pergamon aus.

Berge, Hügel, Kunststraßen, Plateaus, Villen, Paläste, Tempel, Riesentreppen, Volk, Menschen, Heerzüge, Reiter, Krieger, Elefanten, Gärten, Stillleben, Einsamkeit, ein Häusermeer und eine in Schönheit eingetauchte traumhafte Gegend im Hintergrunde! Die Maler Kips und Max Koch haben diese gewaltige Aufgabe in vollendeter Weise gelöst.

Der ägyptische Tempel enthält das von einer Reihe hervorragender Künstler gemalte Diorana, welches in seinen einzelnen zum Theil äußerst gelungenen Bildern überseeische Begebenheiten zum Ausdruck bringt und an Bekanntes oder Charakteristisches anknüpft. Voran steht Stanley am Kongostrom, dann folgen Nachtigall’s Bestattung, eine Elefantenjagd (äußerst plastisch gemalt), Blutsbruderschaft des mehrfach genannten Dr. Peters mit einem afrikanischen Sultan und endlich eine Flottendemonstration vor Sansibar.

Inzwischen hatte sich vollständige Dunkelheit auf die Erde gelegt.

Als ich die Stufen des ägyptischen Tempels herabstieg, war das elektrische Licht bereits zu seinem Recht gelangt und hatte dem Himmel ein Blau verliehen, als sei ein Riesenpinsel gleichmäßig hinübergeglitten, um das Schönheitsbild zu vervollständigen. Rauschendes, schneeweißes Wasser, ein blauer Himmel, hundert bunte Farben, grüne Bäume und Gebüsche, Spitzen, Thürme, Kuppeln, Fahnen, bewegtes Leben in denWegen und auf den Plätzen, lustige Fanfaren aus den Musikhallen – und Alles umflossen und verklärt und tageshell erleuchtet von den elektrischen Lichtströmen. Und nun kommen Sie selbst und erfreuen Sie sich an den Eindrücken der Jubiläums-Ausstellung in Berlin!

[458]

Die bayerische Königstragödie.

1. An der Todesstätte König Ludwig’s II.

Von R. Artaria.

Abfahrt in Starnberg.

Schloß Berg.

Aus den lichtgrünen Wassern des Starnberger Sees ansteigend, von dichten, köstlichenLaubmassen umgeben, hebt Schloß Berg seine hellglänzenden Zinnen in den Himmelhinein – ein Aufenthalt für Glückliche, die schönste Ruhestätte eines jungen poesievollenKönigs. Und heute liegt dieser König nach einem gräßlichen Ende todeskalt und starr in demschönen Schloß; die Fahne, die sonst lustig über seinem Haupte in den blauen Himmel flatterte,hängt auf Halbmast, und Gruppen schreckensbleicher Menschen umstehen die See-Ufer, wo dasFurchtbare geschah, und strömen hinauf, um zum letzten Mal den König zu sehen, der beiseinem Regierungsantritt geliebt und gefeiert war, wie wenige Herrscher.Man sah ihn so gern, den wunderschönen Jüngling, wenn er am See-Ufer entlang im Mondschein ritt und seine großen dunkeln Augen zauberhaft aus dem blassen Gesicht herausglänzten, während das reiche Lockenhaar im Winde flog.

„Wie ein Märchenprinz!“ sagten die Leute, wenn er auf seinem leichtfüßigen Roß vorüberstob und die Hufschläge fern in der Sommernachtverhallten. Und ganz leise wurde hinzugesetzt, daß der Mondschein ihn locke, daß man ihn habe wandeln sehen im Park von Berg, im Krönungsornat mit dem langen, blauen silberverbrämten Mantel und der Krone auf dem Kopf, die im Mondlicht funkelte, bald da, bald dort in denWaldschatten auf- und niedersteigend ... Aber es waren nur Wenige, die dies gesehen, und sie wagten viel dabei, denn der Park, der unterKönig Max Allen offen stand, war nun streng verschlossen, und wehe dem Neugierigen, der den König in seiner Märchen-Einsamkeit belauschte!Sie hat ihn immer tiefer umsponnen, die gefährliche, verführerische Einsamkeit, unheimlich wuchsen die Wahnvorstellungen in dem mehr und mehrsich umnachtenden Geist, und seit Jahren war es den Anwohnern des Sees kein Geheimniß, daß im Schloß von Berg allerhand Sonderbaresund Unheimliches vorgehe.

Und doch standen in diesem Schloß für seinen Bewohner so heiter-schöne Erinnerungen! Als der unglückliche König noch ein munterer,schlanker Knabe war, fuhr er im Frühjahr mit den Eltern heraus und nahm Theil an dem fröhlichen, Allen zugänglichen Treiben auf SchloßBerg, dessen Räume nicht ausreichen wollten, alle Die zu fassen, die der gastliche König zu sich einlud. Maximilian II. war ein Freund feinen,geistigen Lebensgenusses, er hat es, wie wenige Hochgestellte, verstanden, dem Glanz des Königthums noch den schönsten Reiz menschlicher Existenzhinzuzufügen, und er verstand es auch, den Dichtern und Gelehrten, die er um sich versammelte, das Leben auf seinen Schlössern genußvoll zu gestalten.

Neigte sich die Sonne den Höhen über Possenhofen zu, so bevölkerte sich der Seespiegel vor dem Schloß mit Gondeln, oder das Dampfschiff fuhr an den Steg, um den König und seine schöne und liebenswürdige Gemahlin und das Gefolge nach der Roseninsel überzusetzen, woeine ganz von Rosen umhegte Villa steht. Dort war auf der Terrasse ein ländliches Abendessen gerichtet, das unter Scherzund Heiterkeit verfloß, und dann, während der Mond über die Höhen heraufkam und die Sommernacht sich duftend ausbreitete, entspannen sich zwischendem König und seinen Genossen die langen und interessanten Gespräche, die er wie Einer ihres Gleichen mit ihnen führteund die Alles berührten, was der Kreis menschlichen Wissens einschließt. Zu früh hat dieses gütige Herz aufgehört zu schlagen, zu früh vor Allem für den Sohn, der, bisher vor jeder Berührung mit der Außenwelt ängstlich gehütet, in keiner Weisefür seinen schwierigen Beruf vorbereitet war. Und doch hat er in verhängnißvoller Stunde diesen Beruf königlich ausgeübt, und Deutschlandwird ihm ewig Dank wissen für die männliche That, mit welcher er ihm zum Sieg und zur Wiedergeburt in schwerer Entscheidungsstundeverhalf, und die Erinnerung an ihn ewig in Ehren halten.

In den bangen Augusttagen 1870 klopften hier in Berg rastlos die telegraphischen Apparate, eine Siegesnachricht um die andere verbreitetesich vom Schloß aus um den See, und endlich hallte er wider von der großen Kunde des 2. September, und des Königs Wagen wurde, wo ersich zeigte, jubelnd umringt.

Das sind Erinnerungen, die sich heute mit Macht aufdrängen, aber sie sind nicht die einzigen, die an Schloß Berg haften. Vor 200 Jahrenhielt dort und in Starnberg Kurfürst Ferdinand Maria Hof mit seiner prachtliebenden Gemahlin Adelheid, und damals hatte der See eine Glanzzeit, die von der unserigen kaum wieder erreicht ist. Wo heute das große Dampfschiff „Bavaria“ kreuzt, schwamm einst in stolzer Majestät daskurfürstliche Prachtschiff „Bucentaur“, hochragend und goldstrahlend wie die Fahrzeuge der Dogen von Venedig. Ein Fries von Tritonen, Nereïdenund Sirenen umschlang das ganze Schiff, am Vorderende ragte Neptun empor, am Hinterende Minerva, im Halbrund lief eine Galerie fürTrompeter und Pauker, 16 Feldstücke gaben weithin dröhnende Salven ab und ein Geschwader von Gondeln und Lastschiffen voll geputzter Leutezog rechts und links und hinterher, den fürstlichen Herrschaften das Geleite gebend. Doch Alles wandelt und wechselt. Der „Bucentaur“ ist längstdahin, eine einzige Laterne nur blieb erhalten von all der Pracht. Der See gerieth in Vergessenheit und war Anfangs des Jahrhunderts, woTegernsee in Flor kam nur den Wenigsten bekannt. Von den vierziger Jahren an aber entdeckten ihn die Künstler wieder, kam er in Aufnahme,und heute umgiebt ihn ein Kranz von Dörfern und Villen, die Tausenden Genuß und Erholung bieten.

Ueber dem Seegelände aber stehen hoch und klar die leuchtenden Alpengipfel, und sie werden ruhig und unverändert stehen, wenn längstkeine Spur mehr übrig ist, weder von dem idyllischen Glück an den Ufern des Sees, noch von dem furchtbaren Leid, welches heute, vonSchloß Berg ausgehend, jedes Herz aufs Tiefste erschüttert.

[459]

Blätter und Blüthen.

Der Einzug Gustav Adolf’s in Nürnberg. (Mit Illustration S. 444. und 445.) Schwere Prüfungen brachte der dreißigjährige Kriegüber die ehemalige Reichsstadt Nürnberg. Fortgesetzt zogen feindliche Truppen durch das Gebiet der protestantischen Stadt, welchessich bis an die Oberpfalz erstreckte. Die Kommandeure erhielten neben den von ihnen auferlegten schweren Kriegssteuern noch reiche Geschenke,um den Ausschreitungen ihrer barbarischen Truppen gegenüber den Unterthanen der Stadt außerhalb deren Ringmauern nach MöglichkeitEinhalt zu thun. Aber obwohl der Nürnberger Rath dem Herzoge von Friedland die Summe von 100000 Gulden für das Versprechen gezahlthatte, sein Heer nicht durch das Terrain der Stadt marschiren zu lassen, so respektirten die Wallensteiner dieses Abkommen doch nicht besonders,und Opfer auf Opfer mußte seitens der Stadt gebracht werden, um ihre Unterthanen nur einigermaßen vor Raub und Plünderung zu schützen.So gab der Rath den hervorragendsten Schatz Dürer’scher Kunst, den die Stadt von ihrem größten Sohne besaß: die jetzt in der Pinakothek zuMünchen befindlichen vier Apostel, dem Kurfürsten Maximilian I. von Bayern im Jahre 1627 auf sein wiederholtes Drängen hin, um das ausgesogene nürnbergische Gebiet von Truppendurchzügen verschont zu sehen.Die Noth der Stadt nahm mit jedem folgenden Jahre zu; das Landvolk flüchtete in Massen, Schutz begehrend, in die sicheren Mauern der Stadt.So standen die Sachen, als im Jahre 163l der zur Rettung der Protestanten herbeigeeilte König Gustav Adolf von Schweden seinen Siegeslaufdurch Deutschland hielt. Von den nur noch wenige Stunden von Nürnberg entfernten Heerscharen Tilly’s bedroht, sandte der Rath der StadtHilfe suchend den Patricier Jobst Christoph Kreß mit mündlicher Instruktion an den König nach Obernburg bei Aschaffenburg, der ihn auf dasHuldvollste empfing und der Stadt seinen vollen Beistand zusicherte mit der Mahnung, treu zum evangelischen Wesen zu halten. Am 20. März1632 traf das schwedische Heer, 40000 Mann stark, bei Fürth ein, und Tags darauf hielt, von dem Rathe feierlich empfangen, der König seinenEinzug in Nürnberg unter dem unbeschreiblichen Jubel der Bevölkerung.

Diesen Moment hat der Künstler Paul Ritter als Staffa*ge seines Architekturbildes gewählt. An der Spitze des Zuges sehen wir sechs schwedische Trompeter und einen Heerespauker. Inmitten des Platzes vor der Kirche steht, des Winkes des Königs gewärtig, der Hofmarschall Bernulph von Crailsheim[1], der, wie die Chronik sagt, durch sein einnehmendes Wesen Aller Herzen für sich gewann. Die ritterliche Gestalt des Königs auf seinem weißen Schlachtroß ist von einer Gruppe adeliger Damen und junger Patricier umgeben, die in ihm den Retter der Stadt begrüßen. Die Bürger erheben die Hand zum Schwur der Treue, und liebliche Kinder reichen dem Könige Sträuße und streuen ihm Blumen. Ringsum tönt der Jubel; Hüte werden geschwungen und in die Luft geworfen, und aus den teppichbehangenen Fenstern der Häuser wehen von zarten Händen weiße Tücher. Ein lahmer Greis wird auf einem Wagen herbeigefahren; auch er will den König sehen und sich an seinem Anblick ergötzen. Aber auch Feinde der protestantischen Sache waren in der Stadt. Einen Italiener Namens Benedikt Savioli ließ dieserhalb der Rath heimlich überwachen, und der städtische Spruchsprecher und Hochzeitlader Wilhelm Weber, welcher Spottlieder auf den König sang, wurde seines Amtes entsetzt. Diese Beiden hat der Künstler, rechts in der Ecke an einem Wagen stehend, dargestellt.Im Zuge, zur Linken des Königs, befindet sich der entthronte König von Böhmen, Friedrich von der Pfalz, ihm folgen Herzog August, Pfalzgraf zu Sulzbach, Markgraf Karl von Baden-Durlach, ein Herzog von Holstein, dann eine große Anzahl Officiere und Adeliger. Den Schluß bilden schwedische Dragoner mit einer Standarte, die ein gespaltenes blutrothes Kreuz und einen Todtenkopf mit kreuzweise gelegten Knochen, als Sinnbild menschlicher Vergänglichkeit, zeigt.

Der König nahm sein Absteigequartier im Hause des Patriciers Wilhelm Imhof auf dem Egidienplatz, woselbst ihm der Rath vier Karthaunen, ein schönes Pferd (Rothschimmel) und zwei Pokale von Silber, in Gestalt eines Himmels- und Erdglobus zum Geschenk machte.

Was die Architektur des Ritter’schen Bildes anbelangt, so ist das in der Mitte desselben befindliche Gebäude, die alte Schau, eine Perle gothischer Baukunst, leider nicht mehr vorhanden. Es wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen und an seiner Stelle steht jetzt die Militärhauptwache, ein dem damaligen Stile entsprechendes, nüchternes, schmuckloses Gebäude. Das „Schau-Ambt der löblichen Stadt Nürnberg“, wie die Inschrift des Gebäudes lautete, war aber die Probestätte der Arbeiten des Nürnbergischen Kunstfleißes, und gar manches Werk des berühmten Goldschmieds Wenzel Jamnitzer mag dort den Stempel auf echten Metallgehalt empfangen haben. Einen prächtigen Anblick gewähren auf dem Bilde der im Jahre 136l vollendete Ostchor der St. Sebalduskirche und die im Westen sichtbaren schlanken Thürme derselben.

Das Gemälde befindet sich gegenwärtig auf der Jubiläums-Ausstellung in Berlin und ist Eigenthum des Fabrikbesitzers Emil Seitz in Nürnberg. Der Künstler ließ es sich nicht nehmen, den ebenso bescheidenen wie trefflichen Mann, der eine große Sammlung von Gemälden der besten Künstler der Neuzeit sein eigen nennt, rechts in der Ecke des Bildes mit seiner Tochter in der Tracht damaliger Zeit zur Darstelluag zu bringen. Dem Meister Paul Ritter aber, den man mit Recht als den hervorragendsten Architekturmaler Deutschlands bezeichnet, wünschen wir, daß es ihm beschieden sein möge, noch viele derartige Werke zu schaffen!Marcus Schüßler.

  1. Da von Bernulph von Crailsheim ein authentisches Bildniß nicht vorhanden ist, so hat der Künstler einen Nachkommen desselben, den jetzigen bayerischen Staatsminister Krafft Freiherrn von Crailsheim, an des Ersten Stelle portraitirt.


Zur Sprachreinigung. Diese Angelegenheit scheint immer mehr in ein gutes und richtiges Fahrwasser zu kommen. Von der von Hermann Riegel herausgegebenen „Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (der hoffentlich eine noch immer weitere Ausdehnung gewinnen wird) sind die ersten Nummern erschienen, und in vielen Zeitschriften macht sich offenbar das Bestreben geltend, entbehrliche Fremdwörter durch rein deutsche Ausdrücke zu ersetzen. So findet sich z. B in der von J. Neumann in Berlin herausgegebenen „Zeitschrift für Versicherungswesen“ vom 31. Mai ein Aufsatz von Dr. H. Zimmermann über „Verdeutschung der Fachausdrücke in der mathematischen Statistik", worinz. B. für die hier noch viel gebrauchten Fremdwörter aktiv nebst Aktivität im Gegensatz zu invalide mit Invalidität die deutschen Bezeichnungen: arbeits- oder dienstfähig, –tauglich, –unfähig, —untauglich nebst den Fortbildungen auf –keit empfohlen werden, ferner für Morbidität (falsch Morbilität) als „vorübergehende Arbeitsunfähigkeit“ auch Krankfälligkeit und Krankheit. Für weitere Anführungen aus dem sehr anregenden Aufsatz reicht der mir zugemessene Raum nicht aus; denn ich muß hier noch ein kleines eben erschienenes Heft (von 24 Seiten) erwähnen, das den Titel führt: „Verdeutschung der Speise-Karte so wie der hauptsächlichsten in der Küche und im Gastwirths-Gewerbe vorkommenden entbehrlichen Fremdwörter. Bearbeitet von dem Dresdener Zweigverein des allg. deutschen Sprachvereins in Verbindung mit dem Verein Dresdener Gastwirthe und dem Verein Dresdener Köche.“ Es ist gerade dies ein Gebiet, auf welchem die Sprachreinigung noch sehr viel zu schaffen hat. Das Heftchen ist jedenfalls als ein sehr erfreulicher Anfang zu begrüßen, wenn es auch (wie die Verfasser nach dem Vorwort sich selbst nicht verhehlen) noch in mancher Beziehung verbesserungsbedürftig ist.

Altstrelitz, den 10. Juni 1886. Daniel Sanders.

Arzt und Spaßmacher. Zu der Zeit der Geheimen Sanitäts- und Medicinalräthe und der Hochwürdenträger der medicinischen Fakultäten an den Hochschulen muß es einen befremdlichen Eindruck machen, wenn wir erfahren, wie die ärztliche Praxis am Schluß des 17. Jahrhunderts aussah. Da zogen die Aerzte mit Pferd und Wagen auf den Jahrmärkten umher, ausgestattet mit kaiserlichen Privilegien, die ihnen das Recht einräumten, als Aerzte, Zahnbrecher, Okulisten, Bruchschneider und sonst zur Hebung menschlicher Gebrechen, wo es ihnen genehm war, ihre Bude aufzuschlagen; auch bedienten sie sich zur Anlockung des Volkes der Pickelheringe und Hanswürste, deren Treiben oft so ausgelassen war, die sich oft in so groben Zoten ergingen, daß mehrfach, auch in Leipzig, Verordnungen erlassen wurden, welche den Aerzten dieses Mittel der Reklame untersagten. In späterer Zeit gab es allerdiags eine Sorte von Aerzten, welche sich selbst als Spaßmacher zu empfehlen suchten, und manche dieser medicinischen Hauskomiker, die immer für ihre Patienten ein Späßchen, ein Geschichtchen in Bereitschaft hatten, gewannen eine große Praxis; jetzt sind unsere Aerzte ernste Naturforscher geworden und haben die Hanswurstiaden dem Quacksalberthum überlassen, das bei der heutigen Gewerbefreiheit zum Theil noch in recht unerfreulicher Blüthe steht. G.

Jubelfeier der Schützengilde in Schweidnitz. Die schlesische Stadt Schweidnitz, die nach manchem herben, ihre Entwickelung immer wieder hemmenden Geschick, das sie im Laufe der Jahrhunderte erfahren, nunmehr, nachdem ihre Festungsmauern gefallen, zu einer in fröhlichem Aufblühen begriffenen Wohnstätte einer lebhaft thätigen Bevölkerung geworden, feiert in der Woche vom 11. bis 18. Juli d. J. das 600jährige Jubiläum ihrer Schützengilde zugleich mit einem Volksfeste, weil einer Tradition nach der mit dem Beinamen Bellicosus belegte schlesische Herzog Bolko I. es gewesen, der das Schießen unter den Schweidnitzer Bürgern (Armbrustschießen) im Jahre 1286 eingeführt hat.

Unter Anderem ist auch ein historischer Festzug vorbereitet worden, in welchem der erwähnte Herzog in schwerer Eisenrüstung, hoch zu Roß, umgeben von seiner Gemahlin, seiner Tochter und dem fürstlichen Hofstaat erscheinen wird. Eine Festschrift, herausgegeben von dem Verleger des Tageblattes, Otto Maisel, und eine Festzeitung – von A. Schreyer – bilden die litterarischen Spenden der Jubelfeier. M. H.

Gehalt der Schauspieler im Ciceronischen Zeitalter. Aus der Rede, welche Cicero, zur Vertheidigung seines Freundes, des Schauspielers Quintus Roscius hielt, ersehen wir nicht nur, daß die Vorurtheile,welche die Römer in den früheren Zeiten der Republik gegen den Staad der Schauspieler hegten, zu Cicero’s Zeit verschwunden waren, sondern wir erhalten zugleich Aufschluß über das Gehalt, welches Schauspielervon Ruf bezogen. Cieero sagt in der erwähnten Rede, daß Roscius 6 Millionen Sestertien, die er in 10 Jahren auf die ehrenvollste Art hätte verdienen können, ausgeschlagen habe. Diese Summe, welche Cicero selbst sehr groß nennt, würde nach unserem Gelde 750000 Mark betragen und mithin ein Jahresgehalt von 75000 Mark voraussetzen.Nach Plinius VII. 30. belief sich des Roscius Jahresgehalt nur auf etwa 62490 Mark, dagegen bestimmt Makrobius Lib. II, 10. das tägliche Gehalt auf 1000 Denare oder 4000 Sestertien, was nach unserem Gelde ein Jahresgehalt von mehr als 180000 Mark ausmachte.

Das Beispiel des Roscius steht in dieser Hinsicht keineswegs vereinzelt da. Makrobius berichtet, daß der Schauspieler Aesopus seinem Sohn ein Vermögen von beinahe 3 Millionen Mark, die er nur durch seine Kunst erübrigt, hinterlassen habe. Bedenkt man, daß die Schauspieler damals ebenso wenig wie jetzt Meister in der Sparsamkeit waren, so scheint dieser Aesopus allerdings eine recht schöne Summe eingenommenzu haben, und wir würden es keinem unserer Schauspieler verübeln, wenn er dem bescheidenen Wunsch nach der Rückkehr jenes goldenen Zeitalters Ausdruck gäbe. E. R.

[460] Das Schiller-Denkmal in Chicago. Das Deutschthum in Amerika hat in seinen Annalen ein neues schönes Fest zu verzeichnen. Im Lincoln-Park von Chicago, nahe den schönen Blumenanlagen desselben und dem Gestade des Michigansees, ist am 8. Mai ein Schiller-Denkmal enthüllt worden: eine Bronzestatue auf einem Granitsockel, nach dem Muster derjenigen, die in Marbach, Schillers Geburtsstadt, errichtet ist, welche der große Bildhauer Ernst Raue modellirt und Wilhelm Pelargus in Stuttgart in Erz gegossen hat. Auch der Guß der neuen Statue wurde dem Letzteren anvertraut, die Zeichnungen des Sockels dem Professor Dollinger in Stuttgart. Von dem Schwabenverein in Chicago, der seit 1878 besteht, ging die Anregung aus, dem großen Dichter ein Denkmal zu stiften: die Deutschen aller Stämme betheiligten sich an den Sammlungen zu dem schönen Zweck. So erhebt sich jetzt in Chicago das stattliche Schiller-Denkmal als Zeichen der Zusammengehörigkeit aller Deutschen, diesseit und jenseit des Oceans, durch das Band, das die großen Geister der Nation für alle Zeiten gewoben. G.

Der Waareneinkaufsverein zu Görlitz, über dessen Entstehung und Entwickelung die „Gartenlaube“ ihren Lesern bereits vor 10 Jahren (1876, Nr. 36 „Ein Unicum in Deutschland“) ausführlich berichtet hat, feierte kürzlich das 25jährige Jubiläum seines Bestehens; denn am 6. April 1861 war es, wo 11 Görlitzer Arbeiter, zumeist Tuchmacher, zusammentraten, um durch wöchentliche Einzahlungen von je einem Silbergroschen ein kleines Betriebskapital zum Einkauf von Verbrauchsgegenständen (zunächst Cigarren, Streichhölzer, Seife, Zucker und Kohlen) aufzubringen. Gegenwärtig hat der Verein, außer dem Zentrallager und der Centralversandstelle sowie einem Engroslager auf eigenen Grundstücken, noch zehn Detailverkaufsstellen, und das Geschäft erstreckt sich auf Waaren aller Art. Die Mitgliederzahl beträgt 928, doch ist der Verkauf nicht auf diese beschränkt geblieben. Zu den Abnehmern gehören außer dem größten Theile der Einwohnerschaft von Görlitz die Kleinhändler der Städte und Dörfer in etwa zehnmeiligem Umkreise.

Die Feier des Jubiläums für die Mitglieder und ihre auswärtigen Gäste soll in sommerlicher Zeit, Ende Juli stattfinden, während den Beamten und Arbeitern schon in den letzten Tagen des März ein Jubelfest gegeben und ihnen namentlich durch die Begründung einer Pensions- und Unterstützungskasse eine Jubilänmsfreude bereitet worden ist.

Für den kranken zweiundsiebzigjährigen Schriftsteller („Gartenlaube“ 1885 Nr. 36) gingen ein:
J. G. Ullrich, Geh. Sekr. in Dresden Mark 6; Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten in Leipzig 10; M. in Braunschweig 5; O. R. in Meißen 5; Lt. in Breslau 2; O. T. in Eibenstock 1; G. H. in Breitenbrunn b. Schwarzenberg 3; E Rey in Memel 1,50; Friedr. Lutz in Stuttgart 3; Fritz Poehlmann in Erlangen 4; L. v. Blumröder in Ibenhain b. Waltershausen 10; M. G. in Pirna 3; A. v. Einsiedel in Dresden 3; Von 3 Hamburgern je 3 M. u von 2 Italienern je 1,50 M. durch J. rech in Hamburg, zusammen 12; Anonymus, eine schwergeprüfte Mitschwester in Fraustadt 1; R. D. in Leipzig 5; Geschw. Thieme in Halle a. d. Saale 3; S. Cantler in Erding 20; Familie Mzr in Rbg. in Sachs. 12; Wilhelm in Braunschweig 3; H. M. in Braunschweig 3; K. K. in E. u A. J. in B. (je 5 M.) 10; Frau Wwe. Otto Reusch in Köln 10; A. Erb in Heidelberg 10; K. in Tambach 2; Eine Dame aus Gmunden 10; E. L. T. S. 9 in L. 20; Paul Busse in Berlin 3; Moses Meyer in Soest in W. 1; O. B. in Berlin 6; H. in Y. (Postst. Düsseldorf) 40; Aus Großenhain 0,50; R. Hanno in Heidelberg 5; N. N. in Prinzenstein 1,50; H. A. G. in Hamburg 1; R. E. in Schalke 5; N. N. in Burgsteinfurt 2; Bauer in Wächtersbach 5; M. in Luckau i. d. L. 10; A. Willibald in Donaueschingen 5; Ungenannt in Wertingen 5; Von einem weitläufigen Kollegen in Koethen 2; Oberstlieutenant von Brömbsen in Braunschweig 10; Else in Berlin 1; Heinrich Scheel in Stralsund 6; Hedwig Landrock in Erfurt 3; X. Y. Z. in Wandsbeck 10; J. C. W. in Berlin 5; Paul Bethke in Breslau 1.10; N. N. in Blankenkenburg a. H. 6,05; Postst. Stralsund-Berlin 1; Frl. M. Rottmann, H. Vendel b. Brühl 10; Von einer Magd des Herrn 2; Robert Wilms in Straßburg i. E. 2; Leserin der „Gartenlaube“ C. R. in Forst in L. 1,30; O. J. Rath Lehmann in Oldenburg 3; A. Hahn in Barth 2; Redaktion der „Gartenlaube“ 50; B. Schmidt in Paris 20; J. N. in Kassel 3,05; C. Schmidt in Bückeburg 3; Aus Schwenningen 3; Aus Lübeck 3; Felix in Leipzig 0,50; J. Hartmann in Frankfurt a. M. 3; M. v. Besser in Perkau 5; H. M. Teichmann in Dresden 3,05; Frau Dir. Therese Gronau in Berlin 3; Eine langjährige Abonnentin in Bremervörde 5; Aus St. Petersburg 25; Grabow in Bergen bei C. 3; Dth. in Warnemünde 3; P. M. in P. 2; Marie U. in Hamburg 10; Rosalie Müller in Bovenden 2; Unbekannt, Frankfurt a. M. 3; Aus Magdeburg 3; „Dank dem Spender, Gott vergelt’s“ Darmstadt 5; An einem Sonntag Abend im Familienkreise gesammelt d. Gustav Boehme in Mageburg 4,50; Ernst Anders in Berlin: „Wenig aber gern“ 3,05; M. H. in Dresden 3; E. Rein in Dresden 5: Sammlung durch O. C. in Berlin 22,05; B. X. in Berlin 5; A. A. 3; Frau E. M. 5; K. Reble in Karlsruhe in B. 5,05; J. B. in Linden vor Hannover 4; Geschwister Alexander, Mathilde, Alfred und Klara Röldecke in Freiburg i. Br. 4; Durch Paul Schreiber in Leipzig 3; Otto Koenig in Eisfeld 10; G. Sch. in Görlitz 20; M. St. in Altenburg 1; Aus Frankenhausen am Kyffh. 1; J. St. in Mainz 20; Louise in Wolfenbüttel 1,50; Abonnentin der „Gartenlaube“ Frau M. Baronesse von Korff in St. Petersburg durch C. Hörschelmann (10 Rubel) 19,90; M. Th. in Krimmitschau 20; M. Herrmann in Schönebeck a. d. E. 10; „Wenig aber wohlgemeint,“ Frankfurt a. M. 5; Mary Werner in München 10; R. M. in Herzberg am H. 3; G. G. in Magdeburg 1; J. E. in Rostock 1; Adele Schönberg in Emden 3; Von einer Leidensgenossin u. deren Schwester in Dresden 3; N. N. in Endenich 5; Aus Hadersleben 1; T. R. in Schwerin 3; Marie, Hohenlohenhütte 1; Rechnungsrev. a. D. Moeller in Gaarden b. Kiel 6; E. Erlen in Braunschweig 2; Kosmopolit 5; M. K. in Dresden 5; M. B. in Heidelberg 1,50; Eine langjährige Abonnentin der „Gartenlaube“ in Hamburg-Pöseldorf 5; H. Sch. u. A. F. in Roseln (1 Gulden ö. W.) 1,60; L. D. in Leipzig 10; C. Gerke in Hamburg 2: M. Kaufmann Wwe. in Ladenburg 3,05; S. in Wandsbeck 20; Aus Rendsburg: „Wenig aber von Herzen“ 5; Tante Lisebetb in Stettin 6; Th. K. in Hamburg 5; Ein Scherflein aus Hamburg 3; Misling in Marienthal b. Helmstedt 5; Emil Brandt in Wiesbaden 2; Aus Gotba 2; M. v. O. in Kassel 5; K. X. in Halle a. S. 1; Frau S. in Dresden 3; J. Rff., Heimweg Pöseldorf 14; Alban Haberland in Naundörfchen 3; E. Bode in Lichtenberg 2; Dr. Friedrich Prym in Würzburg 20; „Selbst die kleinste Gabe ist willkommen.“ Aus Mainz 0,90; Pastor R. in K. 2; J. M. in Gr. Strehlitz 1,50; O. Martini in Maidenhead 3,06; Prof. Dr. H. in Döbeln 3; Gesammelt in Regenwalde 16,50; Fr. Neumann in Berlin 3: Ungenannt in Bergen a. R. 3; Marie S. in Dresden 20; M. S. in Oschatz 12; Aus Bergen a. R. 2; Aus Linz a. Rh. 3; E. verw. Rein in Zittau 3; A. H. in Friedeberg 1,50; H. in Köslin 3; Dr. Hagemann in Wiesbaden 10; G. f. R. in Weimar 10. 0 Summa 931 M. 21 Pf.

Indem wir die Sammlung hiermit schließen, sagen wir all den menschenfreundlichen Gebern herzlichen Dank, welche es ermöglichten, die letzten durch Noth und Trübsal verkümmerten Lebenstage eines Veteranen der Feder erträglicher zu gestalten. In dem tröstenden Bewußtsein, von denjenigen nicht verlassen zu sein, denen er so manche Stunde des heitersten Genusses verschaffte, schloß der kranke lebensmüde Greis die Augen. Die nach seinem Tode noch eingegangenen Gaben haben wir der Wittwe des Verewigten, welche in aufopfernder, treuer Pflege ihre eigene Gesundheit schädigte, übergeben. Die Redaktion.

Allerlei Kurzweil.

Skataufgabe Nr. 3.

[1]

Von K. Buhle.

(Die drei Könige zu Heimsen.)

Die Mittelhand spielt Eichel (tr.)-Solo und hat, nachdem sie die ersten 6 Stiche mit 53 Augen hereinbekommen hat, noch folgende Karten:

(tr. K.) (p. K.) (c. K.) (car. D.)

verliert aber das Spiel, denn die Gegner erhalten 60 Augen. Hätte jedoch der Spieler zu den drei Königen auch noch den vierten gehabt, also statt Schellen-Ober (car. D.) den Schellen-König (car. K.), so würde er sein Spiel mit 70 Augen gewonnen haben.

Wie saßen die Karten und wie war der Verlauf des Spieles?


Auflösung der Skataufgabe Nr. 2 auf Seite 360.

Die Karten der Gegner sind so vertheilt:

Vorhand: eK, eO, gD, gO, g9, sK, sO, s9, s8, s7;
Hinterhand: rW, eD, eZ, e9, rK, rO, r9, r8, r7.

Im Skat liegen: g8, g7, und der Gang des Spieles ist folgender:

1. sK, sD, eD (– 26),
2. rK, eK, rZ (– 18),
3. sO, sZ, eZ (– 23),
4. rO, eO, rD (– 17),
5. gD, gK, gZ (– 25)
6. gO, gW, r7 (+ 5),

wonach Hinterhand noch einen Stich auf rW erhält. Uebernimmt der Spieler gO nicht mit einem hohen Wenzel, so erhält er nur 6 Augen.

Auch Grand hätte der Spieler bei der angegebenen Sitzung verloren, obwohl im praktischen Spiel Grand auf die gegebene Karte allerdings sicherer zu gewinnen war als Eichelsolo, ein Umstand, welcher jedoch, entgegen der Meinung einiger Einsender, die Richtigkeit der Aufgabe nicht beeinträchtigen kann, da er außerhalb des Rahmens der Aufgabe liegt.

  1. Abkürzungen: e., g., r., s. = Eicheln (tr.); Grün (p.); Roth (c.); Schellen (car.). W., D., Z., K., O., 9, 8, 7 = Wenzel (B.), Daus (As), Zehn, König, Ober (Dame) etc.

Auflösung des Ring-Räthsels auf Seite 440:

Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 441. – Dunkle Gewerbe am Wege der Wissenschaft. S. 447. – Arbeiter- und Heimatkolonien im Moor. Von A. Lammers. S. 448. – Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas S. 449. Mit Illustrationen und zwei Portraits S. 441. 449 und 450. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 450. – Ausstellungs-Briefe. Von Hermann von Baudissin. 1. Ein Abend in der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin. S. 456. Mit Illustrationen S. 453 und 457. – Die bayerische Königstragödie. 1. An der Todesstätte König Ludwig’s II. Mit Illustration S. 458. – Blätter und Blüthen: Der Einzug Gustav Adolf’s in Nürnberg. Von Marcus Schüßler. S. 459. Mit Illustration S. 444 und 445. – Zur Sprachreinigung. Von Daniel Sanders. S. 459. – Arzt und Spaßmacher. – Jubelfeier der Schützengilde in Schweidnitz. – Gejaöt der Schauspieler im Ciceronischen Zeitalter. S. 459. – Das Schiller-Denkmal in Chicago. – Der Waaremeinkaufsverein zu Görlitz. – Quittung für den kranken zweiundsiebzigjährigen Schriftsteller. – Allerlei Kurzweil: Skataufgabe Nr. 3. Von K. Buhle. – Auflösung der Skataufgabe Nr. 2 auf Seite 360. – Auflösung des Ring-Räthsels auf Seite 440 S. 460.

Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift, wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).

Die Gartenlaube (1886)/Heft 26 – Wikisource (12) 0 Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden. Die Verlagshandlung.

Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.

Die Gartenlaube (1886)/Heft 26 – Wikisource (2024)
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